Der Roman „Kreiseziehen“ von Maggie Shipstead wurde als Hörbuch im dzb lesen produziert und von Maja Chrenko gelesen. Im Folgenden stellt die Schauspielerin und Hörbuch-Sprecherin das Buch im Interview vor und gibt Einblicke in ihre Tätigkeit als Hörbuch-Sprecherin. Das Interview führte Gabi Schulze.
Das Buch „Kreiseziehen“ spielt in zwei Zeitebenen, einmal in den 1920er bis 1950er Jahren und in den 2010er Jahren. Es erzählt von zwei Frauen: die eine, Marian Graves, entdeckt Anfang des 20. Jahrhunderts ihre Leidenschaft fürs Fliegen, die andere, Hadley Baxter, ist Hollywood-Schauspielerin und soll die Pilotin im Film spielen. Hat Ihnen das Buch gefallen?
Der Roman ist wirklich spannend, wobei das weniger die Geschichte der Hollywood-Schauspielerin ist, die die Figur der Pilotin spielt, – die fand ich viel schwächer. Viel eher hat mich die Geschichte der Pilotin Marian Graves gefesselt. Sie hat etwas Außergewöhnliches versucht, nämlich die Erde von Pol zu Pol zu umrunden. Das ist viel schwieriger als die Umrundung um den Äquator. Sie schaffte es fast. In der Antarktis soll sie und ihr Navigator Eddie verunglückt sein. Und hier fängt die Geschichte der Hollywood-Schauspielerin Hadley Baxter an, die sich intensiv mit dem Leben der Pilotin beschäftigt. So findet sie eine Person, die mit Marian verwandt ist und erfährt über diese Umwege von Graves wahrem Schicksal. Das soll hier aber nicht verraten werden.
Hinzufügen möchte ich, dass die Pilotin Marian Graves eine fiktive Person ist und auch die Umrundung der Erde hat es so nicht wirklich gegeben. Marian Graves erinnert aber an tatsächliche Pionierinnen der Luftfahrt. Interessant für mich war die Lektüre, weil ich vor langer Zeit schon einmal ein Buch über eine deutsche Pilotin gelesen hatte. Das Fliegen damals, Anfang des 20. Jahrhunderts, war etwas ganz anderes als heute. Und das Thema Frauen als Pilotinnen ist auch heute leider noch nichts Alltägliches. Durch das Buch über die deutsche Pilotin sind mir einige Namen, die im Roman „Kreiseziehen“ eine Rolle spielen, durchaus vertraut gewesen.
Charakterisieren Sie das Buch mit drei Adjektiven!
Spannend, informativ und emotional, aber nicht pathetisch.
Haben Sie beim Lesen für eine der Frauen eine besondere Sympathie entwickeln können? Wenn ja, warum?
Hundertprozentig für die Pilotin. Das liegt auch daran, dass Hadley Baxter aus der Hollywood-Filmwelt kommt, die mit meiner Auffassung vom Beruf einer Schauspielerin nicht übereinstimmt. Ich mag an der Pilotin die Zielstrebigkeit, mit der sie dorthin gehen kann, wohin sie gehen will und das tut, was sie tun möchte – auch über Umwege und schwierige Zeiten hinweg. Sie ist eine Frau, die sowohl Männer als auch Frauen begehrt und die mehrfach in die Rolle eines Mannes schlüpft, um gesellschaftlichen Konventionen zu entfliehen. Das ist konsequent und das finde ich beeindruckend. Deswegen ist mir die Pilotin viel sympathischer als die Schauspielerin, die nur so „dahinschwimmt“.
Erzählen Sie mehr über Marian Graves.
Sie ist eine ungewöhnliche Frau, weil sie von Anfang an nicht den üblichen, ihr zugeschriebenen Weg geht. Marian Graves wächst mit ihrem Zwillingsbruder Jamie bei ihrem Onkel Wallace auf. Als Kleinkinder haben sie kurz nach Ende des Ersten Weltkrieges ein Schiffsunglück überlebt. Ihre Mutter kam ums Leben, der Vater ins Gefängnis, weil er als Kapitän des Schiffes seine Kinder gerettet hat und nicht als letzter von Bord gegangen ist. Marian und ihr Bruder wachsen frei von irgendwelchen Konventionen auf. Aus dieser Freiheit erwächst ihre Zielstrebigkeit. Als sie das erste Mal Flugzeuge sieht, weiß sie, dass sie das Fliegen erlernen möchte. Marian ist ohne vorgeprägte Rollenbilder erwachsen geworden und konnte sich so geben, wie sie wirklich war. Dass Sie mit ihrer freien Lebensweise in der Gesellschaft aneckt, die für Frauen bestimmte Rollenmuster vorsieht, ist völlig klar. Auch heute noch prägen Rollenbilder in der Gesellschaft den Werdegang von Frauen und Männern.
Welche Geschichte ist ihnen in diesem Buch besonders in Erinnerung geblieben?
Oh, da sind mir mehrere in Erinnerung geblieben. Vielleicht ist es die Geschichte, in der erzählt wird, wie Marian Graves in der Antarktis ihren Navigator, die Person, die beim Fliegen für die Navigation zuständig ist, zurücklassen muss. Es ist unklar, ob sie es mit der Maschine bis nach Neuseeland schafft, weil es für diese Strecke kaum verlässliche Karten gab und eine Orientierung kaum möglich war. Er überredet sie, allein loszufliegen, hilft ihr den Flug vorzubereiten, bleibt aber bewusst zurück und weiß damit, dass er sterben wird. Die Szenen haben mich sehr berührt. Da habe ich ehrlich beim Lesen die ganze Zeit ein bisschen gefroren.
Wie haben Sie sich auf die Lesungen in Studio vorbereitet?
Zur Vorbereitung lese ich meist die ersten 50 bis 100 Seiten eines Buches. Dann habe ich ein Empfinden für die Atmosphäre des Romans und damit für die Art des Sprechens, weil ich natürlich ein Sachbuch anders spreche als einen Krimi oder dieses Buch. Da gibt es schon Nuancen in der Stimme, die man einsetzt oder nicht einsetzt. Auf dem Weg ins Studio mache ich ein paar Stimmübungen, um vor allem früh die Stimme locker zu bekommen. Ansonsten ist es die lange Erfahrung, die ich als Sprecherin im Studio habe. Im November werden es 26 Jahre.
Nun hat das Buch einen Umfang von 900 Seiten. Ein ganz schöner Wälzer! Wie viele Sitzungen hatten Sie im Studio?
Das ist schwer zu sagen. Mit 12 bis 13 Sitzungen á drei Stunden müsste es so ungefähr hinkommen.
Sie sind selbst Schauspielerin und arbeiten freischaffend. Welche Rolle der beiden Frauen würden Sie gern spielen und warum?
Ich würde schon die Marian lieber spielen. Wobei interessanter wäre es, die Schauspielerin zu probieren, weil sie das Gegenteil ist. Ich arbeite freiberuflich als Schauspielerin, führe also selbst Regie. Wenn ich jemand völlig anderen spiele, brauche ich einen Regisseur, jemanden, der auf mich von draußen „draufguckt“. Selbst Schauspieler sind sich ihrer Wirkung nicht hundertprozentig bewusst.
Wann haben Sie eigentlich gemerkt, dass Sie Schauspielerin werden wollen? Gab es da ein bestimmtes Schlüsselerlebnis?
Ja, das gab es. Ich habe nach der 10. Klasse den Beruf eines Wirtschaftskaufmanns erlernt. In der Berufsschule fand sich eine kleine Gruppe zusammen, die Laientheater spielte. Wir haben es „Jugendtheater“ genannt und lange Zeit in Berlin-Pankow Aufführungen gegeben. Unter anderem führten wir „Antigone“ auf. Ich spielte mit 18 Jahren die Hauptrolle der Antigone. Bei einer der Aufführungen hat ein in der DDR durchaus bekannter Schauspieler vom Deutschen Theater zugeschaut. Und der hat hinterher zu mir gesagt, ich solle mich doch an der Schauspielschule bewerben. Da dachte ich, das mache ich. Es hat beim zweiten Anlauf geklappt und dann habe ich vier Jahre in Rostock studiert.
Vielen Dank, Frau Chrenko, für das Interview!