Wie lernt man eigentlich mit den Fingern zu lesen?

Zum Weltbrailletag am 4. Januar

Ein Beitrag von Magdalena Groh

Heute am 04. Januar feiern wir einen besonderen Geburtstag: Louis Braille, Erfinder der nach ihm benannten Brailleschrift, wird 217 Jahre alt. Mit nur 16 Jahren hat der blinde Franzose eine Schrift, bestehend aus der Kombination von sechs tastbaren Punkten, entwickelt. Gelesen wird diese Schrift mit den Fingern und ermöglicht so blinden Menschen das Lesen und Schreiben.
Wie jede andere Schrift auch, muss die Brailleschrift gelernt werden. Wie das geht, hat Magdalena Groh die Braillelehrerin Sabine Seifert und den Braillelehrer Nermin Hasic des Fördervereins „Freunde des barrierefreien Lesens e.V.“ gefragt.

Finger gleiten über eine Text in Braillschrift

Mehr Selbstständigkeit durch die Brailleschrift

Sabine Seifert ist seit knapp 10 Jahren ehrenamtliche Lehrerin für Brailleschrift und unterrichtet den Braille-Intensivkurs. Sie selbst ist spät erblindet und hat anfangs sehr damit kämpfen müssen die Brailleschrift zu lernen, weshalb sie sich heute in ihre Schülerinnen und Schüler sehr gut hineinversetzen kann. „Ich habe die Brailleschrift gelernt, als ich 19 Jahre alt war. Für mich war es sehr schwer überhaupt etwas zu fühlen. Das ging am Anfang einfach nicht.“
Die Schrift trotzdem zu lernen ist wichtig, um schreiben und lesen zu können. „Das sind für mich Kulturtechniken, die einfach dazugehören. Kleinigkeiten, wie den Aufzug zu lesen oder im Haushalt beispielsweise das Gewürzregal zu beschriften und lesen zu können, das gibt Selbstständigkeit.“ Den Unterricht macht sie in 1:1-Betreuung, so steht man nicht unter Druck und vergleicht sich nicht mit anderen. Außerdem kann sie so die Leute genau an der Stelle abholen, an der sie gerade sind und niemand geht unter.

Der Unterricht selbst sieht deshalb zwar immer unterschiedlich aus, trotzdem orientiert sie sich am Lehrbuch. „Ganz zufrieden bin ich mit den Wörtern aus dem Lehrbuch aber nicht immer. Als ich einmal einen jungen Mann aus Afghanistan unterrichtete, konnte der mit dem Wort ‚Knabe‘ trotz seiner schon guten Deutschkenntnisse nicht viel anfangen. Mit ihm habe ich dann ganz individuell gearbeitet und ihm nebenbei noch Deutsch beigebracht. Mit unterschiedlich getrockneten Laubblättern habe ich ihm beispielsweise gezeigt, welche Bäume es in Deutschland gibt und wie man diese schreibt.“ Da man die Brailleschrift vor allem dann gut lernt, wenn man kontinuierlich dranbleibt, nutzt Sabine Seifert gerne den Abreißkalender des dzb lesen. „So hat man täglich etwas Kurzes zum Üben.“

Aufgeschlagenes Braillebuch

Barrieren in den Köpfen abbauen

Nermin Hasic hat beim DBSV (Deutscher Blinden- und Sehbehindertenverband) eine Ausbildung zum Braillelehrer absolviert und unterrichtet ehrenamtlich den Braille-Schnupperkurs des Fördervereins für Sehende. „Durch die Arbeit lernt man die Schrift nochmal ganz anders kennen. Besonders wichtig ist es für mich, die Barrieren in den Köpfen abzubauen und die Schrift auch als Brücke zu anderen Fragen über Blindheit zu haben.“ Im Schnupperkurs gibt er einen Überblick darüber, wie die Schrift funktioniert und welche Anwendungsbereiche es gibt. Auch einen kleinen Text selbst lesen und schreiben gehört dazu. Obwohl es Sehenden leichter fallen würde, die Brailleschrift mit den Augen zu lesen, würden beim Schreiben wiederum häufiger Fehler passieren. „Es kommt immer wieder vor, dass auf der Punktschriftmaschine die Punkte nicht gleichzeitig gedrückt werden, um einen Buchstaben schreiben zu können. Auch wird gerne mal ‚Hass‘, statt ‚Dass‘ geschrieben, da sich die Winkel des Buchstaben H und D sehr ähnlich sind.“
Ohne die Erfindung von Louis Braille hätte er vermutlich schwer Sprachen gelernt. „Er hat für uns Blinde eine sehr kluge und sehr praktische Schrift entwickelt, die unter den Finger passt und gut gelesen werden kann. Vor allem als Kind fanden wir besonders cool, dass wir ohne Licht auch unter der Decke lesen konnten.“

Brailleschrift ist auch im Zeitalter der Digitalisierung wichtig

Aktuelle Entwicklungen in Bezug auf die Digitalisierung und Sprachausgaben ändern seiner Meinung nach, die Notwendigkeit der Brailleschrift nicht. „Umgekehrt könnte man sagen, wer braucht eigentlich noch Buchstaben oder Stifte. Um eine Sprache zu lernen, braucht man ein Gefühl für Buchstaben und Satzstrukturen. Auch Räumliches, wie Absätze oder Überschriften müssen mit vermittelt werden. Das alles kann eine Sprachausgabe nicht.“
Für die Zukunft der Brailleschrift würde er sich wünschen, dass diese als normales Schriftsystem im öffentlichen Raum präsenter wird und nicht als Sonderform wahrgenommen wird. Auch deshalb macht er seine Arbeit als Braillelehrer gerne, um die Schrift allen näher zu bringen.

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