Lydia Sasnovskis, 39, blind, ist Bibliotheksnutzerin der DZB und Abonnentin von „in puncto DZB“. Von allen Leserinnen und Lesern des Kundenmagazins wohnt sie ganz sicher am weitesten von Deutschland entfernt, nämlich in Ottawa (Kanada). Warum Sie dort lebt und was Sie mit der DZB verbindet, erfahren Sie im folgenden Interview.
Frau Sasnovskis, Sie sind in Schleswig-Holstein geboren, in Hamburg und Meldorf zur Schule gegangen und lebten eine ganze Zeit in Berlin, später in Kopenhagen, jetzt in Ottawa. Warum diese vielen Ortswechsel? Ziehen Sie gern um?
Nein, Umzüge sind anstrengend und kosten viel, viel Energie. Zu einem Hobby würde ich sie daher nicht wählen! Sie sind aber ein Teil meiner beruflichen Tätigkeit. Ich bin Sachbearbeiterin im gehobenen Dienst des Auswärtigen Amtes und arbeite derzeit an der Deutschen Botschaft in Ottawa in den Abteilungen Politik, Wissenschaft und Wirtschaft. Zuvor war ich an der Botschaft in Kopenhagen tätig. Das Personal des Auswärtigen Amtes unterliegt der Rotation. In einem Zeitraum von drei bis vier Jahren werden die Arbeitsplätze zwischen der Zentrale in Berlin und anderen Ländern immer wieder gewechselt, deshalb auch meine häufigen Ortswechsel.
Was gehört alles zu ihrer Tätigkeit als Sachbearbeiterin an der Botschaft in Ottawa?
Zu meinen Aufgaben gehört es, an Berichten über die politische Lage und besondere Ereignisse in Kanada, wie beispielsweise die Parlamentswahlen im vergangenen Oktober, mitzuarbeiten, für Besuche und Treffen Gesprächsunterlagen vorzubereiten, Wissenschaftler, Politiker und Wirtschaftsvertreter aus Kanada und Deutschland zusammenzubringen. Beispielsweise waren der deutsche Bundespräsident im September 2014 und die deutsche Bundeskanzlerin im Februar 2015 für einen Kurzbesuch in Kanada – zweifellos seltene und herausragende Ereignisse. Aber auch Parlamentariergruppen und Minister reisen nach Kanada. Ich organisiere Treffen zu den verschiedensten Themen, suche geeignete Gesprächspartner und Referenten aus und stelle Programme zusammen.
Welche schulische und berufliche Ausbildung mussten Sie absolvieren, um diesen Beruf ausüben zu können?
Nachdem ich meine Grundschulzeit auf einer Blindenschule in Hamburg absolviert hatte, konnte ich mein Abitur Dank des hartnäckigen und unermüdlichen Einsatzes meiner Mutter auf einem integrativen Gymnasium in Meldorf, einer Kleinstadt in Schleswig-Holstein, absolvieren. Danach bewarb ich mich beim Auswärtigen Amt – damals noch in Bonn -, weil ich großes Interesse für Sprachen, fremde Länder und andere Kulturen hatte und die Aussicht, als Nomadin durch die Welt zu ziehen, sehr reizvoll fand.
Ich absolvierte einige Einstellungstests. Grundlagen für den Berufsweg im gehobenen Dienst des Auswärtigen Amtes waren neben dem bestandenen Abitur die Kenntnis von zwei Fremdsprachen, bei mir waren das Englisch und Französisch. Diese und weitere Voraussetzungen erfüllte ich und wurde zu einem dreijährigen Fachhochschulstudium zugelassen, mit dessen Abschluss wir den Titel von Diplom-Verwaltungswirten erwarben. Im Anschluss daran begann ich 1999 meine Tätigkeit beim Auswärtigen Amt in Berlin.
Mit welchen Hilfsmitteln arbeiten Sie und wie werden sie bei der Arbeit unterstützt?
Mein Arbeitgeber, das Auswärtige Amt, hat meinen Arbeitsplatz sehr gut ausgestattet. Berichte, Protokolle und andere Dokumente schreibe ich am Computer mit Braillezeile. Für vier Stunden am Tag wird mir eine Arbeitsplatzassistenz zur Verfügung gestellt. Sie erledigt Arbeiten wie Vorlesen, Kopieren, Einscannen von Texten für mich, begleitet mich jedoch auch zu Terminen aller Art und auf Dienstreisen, was für meine augenblicklichen Aufgaben einen großen Stellenwert hat.
Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit?
Mir gefällt die Flexibilität meiner Arbeit. Sie ist abwechslungsreich, und man spürt immer wieder den Reiz des Neuen, wenn sich alle vier Jahre der Bereich ändert, für den man verantwortlich ist. War ich in Kopenhagen für die Erteilung von deutschen Pässen und Visa, die Betreuung deutscher Häftlinge oder die rechtliche Beratung deutscher Staatsangehöriger zuständig, bin ich heute in Ottawa in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft tätig. Und so, wie es momentan aussieht, werde ich bis 2018 in Ottawa arbeiten.
So naiv-optimistisch und grenzenlos begeisterungsfähig wie bei meinem Berufseinstieg bin ich allerdings nicht mehr: Der ständige Wechsel der Wohn- und Arbeitssituation, das Einstellen auf eine neue Arbeitsplatzassistenz, der Aufbau eines Netzwerkes an Freunden und Bekannten – all das beansprucht eine Menge Ressourcen und ist nicht zuletzt für Partner und Familie eine stetige, nicht immer leicht zu meisternde Herausforderung.
Ottawa mit der „längsten Schlittschuhbahn der Welt“
Erzählen Sie uns bitte etwas über die Stadt Ottawa! Wie barrierefrei ist sie für Blinde und Sehbehinderte?
Ottawa hat, obwohl es die Bundeshauptstadt Kanadas mit über 800.000 Einwohnern ist, eher den Charme einer Kleinstadt und ist im positiven Sinne sehr provinziell. Hier läuft alles sehr entspannt ab. Mit Bussen als öffentlichem Verkehrsmittel kommt man innerhalb der Stadt als blinder Mensch sehr gut von A nach B. Außerhalb der Stadt allerdings endet größtenteils die für Blinde und Sehbehinderte nutzbare Infrastruktur. Das ist schade, denn in ca. 20 Minuten erreicht man den vor der Stadt liegenden, großen Gatineau Park, den ich jedem, der Ottawa besucht, wärmstens empfehlen möchte. Hier kann man im Sommer wandern, Boot fahren und in den Seen schwimmen und im Winter Skilanglaufen, Schnee- und Schlittschuhlaufen und die wunderschöne Natur erleben.
Die Menschen in Ottawa sind aufgeschlossen und Blinden gegenüber sehr hilfsbereit und rücksichtsvoll. Sitzt man in einem Restaurant oder Café, liest der Kellner häufig wie selbstverständlich die Speisekarte vor und die übrigen Gäste warten geduldig.
Ehrenämter nehmen in Kanada einen hohen Stellenwert ein und für viele Menschen ist es selbstverständlich, einen Teil ihrer Freizeit anderen zur Verfügung zu stellen. Ohne dieses herausragende Engagement wären fantastische Programme wie die „Skihawks“, ein Skiabfahrtskurs für Blinde und Sehbehinderte oder „Skiability“, ein Wasserskiprogramm für Seh- und Körperbehinderte nicht denkbar.
Können Sie einige Sehenswürdigkeiten empfehlen?
Die bekannteste Sehenswürdigkeit und sehr interessant ist das Parlament. Ein Stadtbummel rund um den Parliament Hill und in den „Byward Market“ mit Geschäften, Restaurants und Marktständen ist ebenfalls zu empfehlen. Alles ist zu Fuß sehr gut erreichbar. Wer nach Ottawa kommt, sollte auf alle Fälle auch in die Museen der Stadt gehen. Das „Canadian Museum of History“ gibt einen beeindruckenden Einblick in die kanadische Geschichte und das Leben der indigenen Bevölkerung. Viele Museen sind mit Audioguides ausgestattet. Die National Art Galery bietet auch spezielle Führungen für blinde und sehbehinderte Menschen an. Im Winter hat Ottawa übrigens seinen ganz besonderen Reiz: Trotz Temperaturen von häufig unter -15 Grad ist es meist sehr sonnig. Während des zweiwöchigen Winterfestes „Winterlude“ von Ende Januar bis Mitte Februar verwandelt sich die Stadt in ein Wintermärchen und bietet Eisskulpturen, Budenzauber und vieles mehr. Wenn es das Wetter zulässt, verwandelt sich der Rideau Canal, der sich mitten durch die Stadt zieht, nicht nur in die „längste Schlittschuhbahn der Welt“, sondern ist auch ganz selbstverständlicher Verkehrsweg „beschlittschuhter“ Studenten, Schüler und arbeitender Menschen. An den Buden gibt es „Beavertails“, fettgebackene „Biberschwänze“ in süßen und salzigen Varianten.
Literatur aus der DZB
Wann haben Sie Ihre ersten Bücher aus der DZB bekommen?
Dazu muss ich Ihnen eine kleine Geschichte erzählen: Ich war in Schleswig-Holstein in der damaligen BRD Schülerin eines integrativen Gymnasiums und meine Klassenlehrerin hatte die damals sogenannten Ostkontakte. Sie beschaffte mir aus der DZB Bücher in Brailleschrift. Das muss etwa 1987/88 gewesen sein. In den 90er Jahren wurde ich dann selbst begeisterte Nutzerin der DZB und abonnierte auch viele Zeitschriften, wie beispielsweise den „Literaturtreff“, „Deutschlandrevue“, „DZB-Nachrichten“, „Kultur und Freizeit“ und das Jugendmagazin „Ketchup“.
Haben Sie Lieblingsbücher?
Ich lese gern Belletristik, zum Beispiel historische und Familienromane, gelegentlich Krimis, z.B. die Skandinavier wie Stig Larsson, aber auch deutsche Krimiautoren mit regionalen Plots faszinieren mich. Charlotte Link schreibt fesselnd, es darf aber auch gern mal etwas fürs Herz sein, das am besten in exotischen Welten spielt. Der „Literaturtreff“ hat diesbezüglich immer wieder tolle Entdeckungen zu bieten. Früher las ich außerdem gern Pearl S. Buck. Die Bücher von Judith Kuckart lese ich wegen ihrer sprachlichen Finesse besonders gern. Das Buch „Wünsche“ und den Erzählband „Die Autorenwitwe“ kann ich unbedingt empfehlen.
Was wünschen Sie sich von der DZB?
Ich bin sehr zufrieden mit dem Service der DZB und finde es auch gut, dass es bald Hörbücher zum Download und E-Books geben wird. Die Innovationskraft, die von der DZB ausgeht, ist bemerkenswert. Mein Wunsch wäre es vielleicht, dass trotz digitaler Technik nicht vergessen wird, dass die Brailleschrift weiterhin eine wichtige Rolle spielt und es auch in Zukunft in der DZB eine Vielzahl an Büchern in Brailleschrift, Reliefs und andere innovative Produkte geben wird.
Vielen Dank Frau Sasnovskis!