Eine, die Geschwindigkeit mag und kaum Barrieren kennt

Rose Jokic leiht sich gern Bücher aus der DZB aus. Kürzlich kam sie jedoch als Referentin in die DZB. In einem Workshop schulte sie DZB-Mitarbeiter zum Thema Leichte Sprache. Warum sie gern in Leipzig lebt, wie sie Menschen für Barrierefreiheit sensibilisiert und warum sie im Winter am liebsten Ski alpin fährt.

Zwölf Jahre lebte Rose Jokic mit ihrer Blindenführhündin zusammen. Nun bringt sie Kelly wieder zu ihrer alten Patenfamilie. Dort kann die alte Labrador-Hündin ihr Leben auf dem Land genießen. Leicht ist es Rose Jokic nicht gefallen. Sie hängt an ihr, hat aber auch gemerkt, dass Kelly zu alt für ihren „Job“ ist.

Auch Rose Jokic, in Tuzla (Bosnien) blind geboren, musste ihre Heimat verlassen. 1995 kommt sie mit ihrer Familie nach Deutschland. Sie lebt in Köln, geht an der BLISTA in Marburg zur Schule. Mit dem Abitur in der Tasche studiert sie in Köln Politikwissenschaft, Germanistik und Psychologie. Eigentlich will sie nach dem Studium journalistisch tätig sein. Doch das ist aufgrund ihrer Blindheit sehr schwer möglich. Während sie im Bereich Marketing und Vertrieb arbeitet und nebenberuflich BWL studiert, bildet sie sich interessehalber in Seminaren zum Thema Barrierefreiheit weiter, unter anderem im Bereich Tourismus. Sie lernt, wie man barrierefreie PDF-Dokumente und Webseiten gestaltet und Texte in Leichte Sprache übersetzt. Dass sie mit diesen Kenntnissen ihre spätere Arbeit finden wird, weiß Rose Jokic zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Von Köln nach Leipzig

Seit 2012 ist sie als Referentin für Barrierefreiheit im Antidiskriminierungsbüro in Leipzig tätig und führt Workshops zur Erstellung barrierefreier Informationen, zu Leichter Sprache sowie zur barrierefreien Öffentlichkeitsarbeit durch. „Ich pendelte jede Woche zwischen Köln und Leipzig“, erinnert sich Rose Jokic, „zunächst für zehn Monate. Als das Projekt verlängert wurde, blieb ich in Leipzig und fuhr seltener nach Köln, dann vor allem um meine Schwester zu besuchen. Mir gefällt es hier. Die Menschen sind sehr hilfsbereit und es gibt viele kulturelle Angebote, deren Veranstaltungsorte schnell zu erreichen sind“, schwärmt die junge Frau und lobt besonders das Schauspielhaus und sein vielseitiges Angebot an Theaterstücken mit Audiodeskription. Dessen Inklusionspatenschaften findet sie einzigartig. Deshalb unterstützt sie die Initiative des Schauspielhauses und schult Theaterfreunde, die blinde und seheingeschränkte Menschen ins Theater begleiten, im Umgang mit Betroffenen. Rose Jokic hat aber auch Freude daran, Lesungen in einfacher Sprache zu organisieren, wie beispielsweise die Lesung „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf, die im Dezember in Leipzig stattfand. Zur Leipziger Buchmesse im März soll „Der Graf von Monte Christo“ von Alexandre Dumas in einfacher Sprache gelesen werden.

Barrierefreie Angebote sind kein Zauberwerk

Ob beruflich oder ehrenamtlich ─ die junge Frau ist an vielen Orten unterwegs, um Barrieren für Menschen mit Behinderung zu beseitigen. Vor allem aber lehrt sie Teilnehmern ihrer Workshops, die aus Kulturvereinen, Museen, Bibliotheken und städtischen Verwaltungen kommen, dass barrierefreie Veranstaltungen, Internetangebote und Informationen kein Zauberwerk sind. „Ich möchte die Menschen davon überzeugen, dass das, was sie bei mir lernen, auch realisierbar ist. Ich ermutige sie dazu, ihreKenntnisse in kleinen Schrittenumzusetzen“, erklärt Rose Jokic glaubhaft und räumt ein, dass fehlendes Wissen und Geld in Behörden und Ämtern die Realisierung oft ausbremst. Rose Jokic weiß: Immer mehr Menschen müssen für barrierefreies Handeln sensibilisiert werden. „Mich stört zum Beispiel, wenn in Leipzig die Leitlinien an den Straßenbahnhaltestellen taktil so schlecht zu erfassen sind, dass selbst trainierte Blinde allein nicht zurechtkommen“, erzählt Rose Jokic und meint enttäuscht: „Hier hat man zwar ein Stück weit Barrierefreiheit schaffen wollen. Doch jetzt ruht man sich auf halber Strecke aus. Das hilft blinden Menschen nicht viel.“ Außerdem ärgere sie sich darüber, dass die akustischen Ampelsignale in der Stadt ab 22 Uhr ausgeschaltet werden. Als ob blinde Menschen nicht feiern, ins Theater oder zum Konzert gehen.

Geschwindigkeit ist ein wunderbares Gefühl

Die junge Frau, deren lange dunkelbraune Haare über die Schultern fallen, macht alles, was ihr Freude bereitet. Sie kennt kaum Barrieren. So joggt sie gemeinsam mit Lauffreunden durch den Clara-Zetkin-Park oder Auwald. Nicht schnell genug geht es ihr, wenn sie im Winter mit ihrem Guide Alpin-Ski fährt. „Auf der Piste fühle ich mich frei und kann endlich selbst die Geschwindigkeit verursachen und spüren. Das Gefühl rasend voranzukommen ist wunderbar“, verrät Rose Jokic und ein Lächeln huscht über ihr Gesicht. Sie lebt auf, wenn sie von ihrem Hobby erzählt. Doch noch mehr kommt sie ins Schwärmen, wenn sie über Hunde spricht. Diese Tierliebe ist auch der Grund, warum sie erst kürzlich eine lange Reise nach Bosnien in ihren Heimatort auf sich nahm. Dort warteten vier herrenlose Welpen, denen sie ein neues Zuhause an verschiedenen Orten in Deutschland und der Schweiz beschafft hat.

Alles Schritt für Schritt

Rose Jokic findet für alles eine Lösung. Ob es nun eine für vier kleine Straßenhunde ist oder eine für die Organisation barrierefreier Veranstaltungen. Die junge Frau ist zuversichtlich und rät den Teilnehmern ihrer Workshops: „Alles, was wichtig ist, kann Schritt für Schritt umgesetzt werden. Man darf sich nur nicht entmutigen lassen und ungeduldig werden.“ Auch sie übereilt nichts, wenn es um einen Nachfolger für Kelly geht. Hauptsache, der Vierbeiner wird ohne Druck und Zwang ausgebildet. Das ist der Hundeliebhaberin sehr wichtig.

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