Kristina Wichert lebt in München. Sie mag die Großstadt, weil sie als hochgradig Sehbehinderte viel mehr Möglichkeiten hat, selbstständig am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Vor über 20 Jahren ist sie aus Thüringen nach Süddeutschland gezogen und arbeitet jetzt als Angestellte bei einer gesetzlichen Krankenkasse. In der Freizeit ist sie gern mit Freunden im Englischen Garten unterwegs und sitzt im Sommer auch viel auf ihrem Balkon. Doch ihre große Leidenschaft gehört dem Reisen. Gabi Schulze traf Kristina Wichert in Leipzig, als sie in einer Veranstaltung des Grassi-Museums über ihre Reiseerlebnisse in Südafrika sprach.
Was ist für Sie am Reisen so reizvoll?
Ich kann viele beeindruckende, interessante und wunderschöne Landschaften und Städte sowie Land und Leute, Tiere und Pflanzen kennenlernen. Außerdem kann ich die Küche des jeweiligen Landes testen, in die Gerüche und Geräusche des Landes eintauchen und etwas vom Leben und den Ansichten der Menschen dort selbst erspüren und erfahren. Reisen ist ein ganz großes Tor zur Welt, bedeutet für mich vor allem Freiheit, erweitert meinen Horizont und korrigiert manchmal auch meine Meinung bzw. Einstellung, bildet und macht tolerant und weltoffen.
Welche Länder haben Sie schon bereist?
Da gibt es schon eine ganze Reihe. An erster Stelle steht Italien. Ich habe mit einer blinden Freundin einen Sprachkurs auf Sardinien gemacht und im Hause einer Italienerin gewohnt. Ich war schon in verschiedenen Regionen und Städten Italiens, wie z. B. in Südtirol, am Gardasee, in der Cinque Terre.
Außerdem besuchte ich Malta und La Gomera. Nach Südafrika flog ich schon dreimal. Nach Zentralasien wollte ich schon immer einmal ─ vor allem wegen der Architektur, des Klimas und der Lebensweise. Da meine Schwägerin berufliche Verbindungen nach Taschkent hat, organisierte sie für unsere Familie eine Reise nach Usbekistan. In Frankreich besuchte ich natürlich Paris, die Bretagne und Korsika. Ich war beeindruckt von der bretonischen und der korsischen Sprache. Griechenland mit Korfu, Kreta, Kos und Chalkidiki gehören auf die Liste, genauso wie Österreich und Finnland. Die Mecklenburger Seen und die Ostsee sind aufgrund der sanften Landschaft, tollen Natur und der damit verbundenen schönen Kindheitserinnerungen noch immer sehr anziehend für mich.
Wo fühlen Sie sich am wohlsten: im Gebirge, am Meer, in der Großstadt oder auf einer Insel?
Ich bin ein Insel-Fan. Am liebsten mag ich eine Kombination aus warmem Meer und etwas Gebirge sowie einer Stadt und netten Dörfern im Umkreis. Ganz große Städte halte ich nicht lange aus, die sind mir zu laut. Italien und die Inseln bieten oft die perfekte Mischung für mich. Den ganzen Urlaub am Strand liegen ist nichts für mich. Und die ganz hohen beeindruckenden Berge sieht man von unten besser als wenn man oben steht.
Bitte beschreiben Sie in einem Satz ihre letzte Reise?
Der Urlaub in Finnland war ein perfekter Wintertraum mit dem richtigen Maß an Bewegung per Ski oder Schneeschuh und Wellness in Form von finnischer Sauna und gutem Essen.
Welche drei Gegenstände müssen Sie immer mit auf Reisen nehmen?
Meinen Fotoapparat, meinen Milestone für Hörbücher und Musik, oft mit Bezug auf das Reiseziel, und Medikamente, damit man gesund bleibt oder schnell gesund wird.
Was fasziniert Sie an Südafrika?
Die unglaubliche Vielseitigkeit des Landes! Die Region um Kapstadt ist noch sehr europäisch, nach Osten hin wird es immer afrikanischer. Und im Landesinneren sieht es manchmal wie im Allgäu aus. Es gibt Berge mit Schnee, subtropische Vegetation, Wüste, Steppe, wildes Meer mit Wasser aus der Antarktis und dem herrlich warmen Indischen Ozean, eine vielseitige und interessante Tierwelt. Die unterschiedliche Bevölkerung, deren Wurzeln in Afrika, Asien und Europa liegen, hat natürlich auch eine verschiedenartige Kultur- und Lebensweise zur folge. Die farbige Bevölkerung ist sehr aufgeschlossen, nett und hilfsbereit und strahlt oft eine große Lebensfreude aus, trotz der oft schwierigen Lebensumstände. Von dieser positiven Grundeinstellung wird man sehr leicht angesteckt. Ein bisschen Afrika würde uns allen gut tun. Ein Aufenthalt dort trägt zur Entschleunigung und zu einem anderen Blick auf die Dinge bei, die wir für so furchtbar wichtig halten.
Wie riecht Südafrika und welche Geräusche verbinden Sie mit diesem Land?
Südafrika riecht nach Meer, frischer Luft und warmer trockener Erde, nach Tieren und deren Hinterlassenschaften, nach Holzkohle und gegrilltem Essen. Noch auffälliger und besser in Erinnerung sind für mich die Geräusche. Man hört oft Leute singen, fröhlich schwatzen und lachen. Besonders schön waren für uns alle die Marimba-Musik und das Trommeln. Und dann sind da natürlich die Geräusche, die die Tiere machen. Die Grillen haben unheimlich laut gezirpt und sind auch mal nachts aus dem Takt gekommen. Davon bin ich aufgewacht. Das Löwengebrüll war sehr beeindruckend und hat uns auch ziemlich erschreckt. Und auch das Getrampel einer ganzen Herde Gnus oder der Giraffen-Galopp klingen fremd, aber schön in unseren Ohren. Die Geparden und Servale schnurren so herrlich. Die Brandung des Meeres war der schönste Radau, den ich je gehört habe, und zugleich auch sehr beruhigend. Und ganz zum Schluss nicht zu vergessen – die Ruhe – dort ist einfach nicht so viel Verkehr, viel mehr Platz und wirklich himmlische Ruhe zum Erholen. Nur die Natur macht „Krach“ und das darf sie, war ja schließlich vor uns da.
Was war ihre schlimmste Reisepanne?
Das Schlimmste, was mir bisher passiert ist, war nicht wirklich schlimm. Auf Sardinien hat uns der Bus einfach stehengelassen und ist vorbeigedonnert. Wir haben dann nach Taxi-Nummern gesucht und unser Glück als Anhalter probiert – hat aber nicht geklappt. Italienische Touristen haben uns dann mitgenommen. Das war also alles nicht so schlimm. Ein richtiger Flop hingegen waren meine Reisen an die Nordsee – Wetter kalt, Wasser weg, alles sehr teuer, Leute oft unfreundlich – das fand ich viel schlimmer als ein Bus, der nicht fährt.
Wie organisieren Sie Ihre Reisen? Welche Hilfen erleichtern Ihnen als Sehbehinderte das Reisen?
Ich hole vorher Informationen über den in Frage kommenden Ort, den Nahverkehr und andere Einrichtungen wie z. B. Seilbahnen, Wanderwege, Museen etc. ein und lese Reiseführer. Die werden mit farbigen Klebezetteln markiert. Bei der Wahl der Unterkunft achte ich darauf, ob man von dort Anbindung an Nahverkehr und Geschäfte oder Restaurants in der Nähe hat. Außerdem recherchiere ich, wie man zu den Orten kommt, bestelle Assistenz am Flughafen oder Umsteigehilfe im Bahnhof. Ich habe auch bei den Reiseveranstaltern schon angegeben, dass ich sehbehindert bin und um ein wenig Unterstützung gebeten. Manchmal habe ich einen Teil des Stadtplans vergrößert kopiert und mit Textmarker markiert. Im Internet kaufte ich schon vorher Eintrittskarten und reservierte Zeiten für eine Führung.
Welchen Rat geben Sie blinden und sehbeeinträchtigten Menschen, die eine Reise planen?
Mein Motto ist: Wenn ich schon nicht richtig sehen kann und mich mit dem Entziffern von Schildern schwer tue, muss ich wenigstens fragen können. Es ist also nie verkehrt, ein paar Worte in der Landessprache zu lernen und sein Englisch oder andere gängige Fremdsprachen aufzufrischen, sofern das nötig ist. Man sollte seine Behinderung nicht versuchen zu verstecken. Oft sind die Leute in anderen Ländern deutlich hilfsbereiter und unkomplizierter im Umgang mit Behinderten. Man muss nur den Mut haben zu fragen, auch in einer fremden Sprache, selbst wenn es holprig klingt und wenn man Fehler macht. So erhält man nette Kontakte und kommt auch noch ans Ziel. Mut und Aufgeschlossenheit sind schon die halbe Miete.