Mit Regelwerk, Computertechnik und gestalterischem Spürsinn

Ein aufgeschlagenes Heft mit Regeln der Brailleschriftkürzungen liegt auf einem Heft mit Brailleschrift.

Sie sind Expertinnen ihres Faches. Ihr Medium ist die Brailleschrift. Kürzungsregeln, ASCII-Code und Buchgestaltung – sie kennen sich bestens damit aus. Tagtäglich übertragen Arite Stosch-Ball und Caroline Waldenburger Texte in Brailleschrift. Ihre Arbeit sieht heute jedoch etwas anders aus als noch vor 25 Jahren. Ein Beitrag von Gabi Schulze.

Als Arite Stosch-Ball ihre Arbeit im dzb lesen 1996 begann, schrieb sie eines ihrer ersten Braillebücher tatsächlich noch mit einer elektrischen Handpunziermaschine. Den gesamten Text des Buches „Sagen des klassischen Altertums“ von Gustav Schwab hat sie in Brailleschrift auf Zinkblechplatten punziert. „Das war eine schwere Arbeit und man durfte keinen Fehler machen“, sagt Arite Stosch-Ball. Sie lernte die Brailleschrift an der Pichtmaschine. „Ich habe immer eine Seite geschrieben und diese dann korrigieren lassen. So hat die Übertragung eines Buches anfangs recht lange gedauert.“
Caroline Waldenburger begann 2002 zunächst als Vorleserin in der damaligen DZB zu arbeiten und erlernte die Brailleschrift am Rechner. „Ich schrieb ein Buch in Vollschrift und Kurzschrift ab, Zeichen für Zeichen über die Tastatur des Computers“, erzählt Caroline Waldenburger. „Mithilfe unserer Arbeitsunterlagen habe ich das Layout des Buches gestalten können.“
Damals suchten die beiden Übertragerinnen eine berufliche Veränderung. Sie scheuten den Neuanfang nicht und begannen, Schritt für Schritt die Brailleschrift und deren Regeln in Text und Gestaltung zu erlernen. „Brailleschrift ist für mich so etwas wie eine Fremdsprache, die man erlernen muss“, meint Arite Stosch-Ball. „Das war für mich kein Problem. Man braucht jedoch mehrere Jahre. Und auch heute ist man immer noch nicht perfekt und lernt immer wieder hinzu.“ Ihre Kollegin ergänzt: „Die Vollschrift zu erlernen geht sicher schnell. Doch die Kurzschrift mit ihren Kürzungen ist sehr umfangreich. Es gibt viele Regeln und die Buchgestaltung kommt hinzu. Man kann das nicht getrennt voneinander sehen.“ Diese Regeln sind zum einen im „System der deutschen Brailleschrift“ und zum anderen in den dzb lesen-Arbeitsunterlagen definiert. Sie sind die Basis für die Übertragung in die Brailleschrift.

Software-Programme übernehmen Analyse und Strukturierung der Texte

Seit Mitte der 1990er Jahre werden Bücher, Zeitschriften usw. im dzb lesen mit dem Hagener Braille-Software-System (HBS) übertragen, d. h. sie müssen in digitaler Form vorliegen und werden mithilfe des Programms in Brailleschrift umgewandelt. Damals scannte man die Bücher noch ein und die Fehler der Scans wurden korrigiert. Heute liefern die Verlage ihre Bücher hauptsächlich im EPUB-Format, einem digitalen Datenformat. Seitdem haben Arite Stosch-Ball und Caroline Waldenburger tausende von Seiten übertragen.
Ein bedeutender Einschnitt in ihre Übertragungstätigkeit war die Einführung einer Software, die im Rahmen des Projektes Leibniz programmiert wurde. In drei Jahren, von 2009 bis 2012, entwickelten Programmierer in der DZB ein nach dem Projekt benanntes universelles Werkzeug, mit dessen Hilfe Texte und Bilder automatisch analysiert und strukturiert werden können. Überschriften, Absätze, Listen und Tabellen werden ausgezeichnet und Steuerbefehle legen das Layout des Textes fest, zum Beispiel, wo es Einrückungen im Text oder freie Zeilen geben soll und wie die Überschriften aussehen sollen. „Früher haben wir die Steuerbefehle in die HBS-Datei geschrieben, heute gibt die aus dem EPUB entstandene Leibniz-Datei die Textauszeichnung u. a. für die Übertragung in die Brailleschrift aus“, erklärt Caroline Waldenburger. Das Leibniz-Programm generiert übrigens nicht nur das Datenformat für die Übertragung in Brailleschrift, sondern gleichzeitig auch Datenformate für die Herstellung eines Großdruckbuches und E-Books. Es ist für die Übertragung unverzichtbar geworden und wird immer weiterentwickelt.

Qualität der Verlagsdaten wird immer besser

Auf dem Tisch von Arite Stosch-Ball liegen mehrere Bücher, die als nächstes in Brailleschrift produziert werden sollen: „Wir sehen uns im August“ von Gabriel García Márquez und „Die Möglichkeit von Glück“ von Anne Rabe. Aktuell ist Arite Stosch-Ball gerade dabei, den 7. Band „Nacht über der Havel“ aus der Reihe „Fräulein Gold“ von Anne Stern zu übertragen. Diese Reihe gibt das dzb lesen auch als Fortsetzungsroman im Abonnement heraus. Mithilfe des HBS-Programms wird die strukturierte Datei in Brailleschrift umgewandelt. Danach nimmt Arite Stosch-Ball die Seiten- und Bandeinteilung vor. „Die Qualität der Verlagsdaten wird immer besser. Demzufolge haben wir auch weniger Fehler in der Übertragung“, sagt die Übertragerin, die auch für die Endkontrolle der Bücher verantwortlich ist.

Viel zu tun – mit Büchern!

Arite Stosch-Ball mag Bücher mit vielen Seiten, also dicke Wälzer oder auch Sachbücher wie zum Beispiel Kochbücher, die im Gegensatz zu Romanen eine komplexe Struktur mit vielen Kapiteln, Unterkapiteln und Tabellen haben. „Meine Tätigkeit ist sehr vielseitig. Ich übertrage nicht nur Bücher, sondern bearbeite auch Aufträge und Zeitschriften“, erzählt Arite Stosch-Ball. „Und da ich viel mit Büchern zu tun habe, entdecke ich auch interessante Titel, die ich dann selbst gern in Schwarzschrift lese.“
Dem schließt sich Caroline Waldenburger ohne Zögern an: „Bücher, Braille und Vielfalt – das sind die Dinge, die mir an meiner Tätigkeit gefallen.“
Der berufliche Neuanfang vor Jahren hat sich für beide Frauen gelohnt – und natürlich auch für blinde Bücherfreunde des dzb lesen. Als Expertinnen der Brailleschrift tragen sie dazu bei, dass immer wieder Nachschub an neuem Lesestoff in die Braille-Bibliothek kommt.

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