Caroline Waldenburger (W.) und Anja Lehmann (L.) lesen seit 10 Jahren in der DZB gemeinsam Korrektur. Ob Sachbuch, Roman oder Kinderliteratur ─ jedes Buch erfordert von den Korrekturleserinnen neben höchster Konzentration und Allgemeinwissen auch eine gute Zusammenarbeit und Offenheit im Umgang miteinander. Ganz sicher eint beide auch die Leidenschaft für Bücher. Für Caroline Waldenburger, die seit 15 Jahren eher zufällig von der DZB hörte und seitdem hier als Übertragerin und Korrekturleserin arbeitet, gehören Bücher zum täglichen Leben. Anja Lehmann, die blind ist, liest auch gern mal ihren Neffen oder in großer Runde zum Vorlesetag spannende Geschichten vor. Sie arbeitet neben ihrer Tätigkeit als Korrekturleserin auch als freiberufliche Übersetzerin. Was für sie am Korrekturlesen interessant ist und welches Buch sie ihrer Kollegin empfiehlt, lesen Sie im Folgenden.
Wie geht das Korrekturlesen vonstatten?
L.: Beim gemeinsamen Korrekturlesen hat die sehende Kollegin das Originalbuch vor sich und ich nutze einen Probeausdruck in Brailleschrift. Wir lesen uns den Text gegenseitig vor, um festzustellen, ob meine Version mit dem Original übereinstimmt und alle Besonderheiten berücksichtigt wurden. Wenn wir einen Fehler finden, markieren wir ihn in beiden Exemplaren. Die Korrekturen werden dann von der Übertragerin ausgeführt.
Welches Buch lesen Sie gerade Korrektur? Und worum geht es in dem Buch?
W.: Wir lesen den „Kritischen Bericht der Orgelwerke I“ von Felix Mendelssohn Bartholdy, das sind musikwissenschaftliche Texte. Das zweite Buch, das wir Korrektur- lesen, ist ein populärwissenschaftliches Buch von Ernst Peter Fischer „Durch die Nacht“, eine Naturgeschichte der Dunkelheit.
L.: Der Leser erfährt in der Naturgeschichte der Dunkelheit mehr über die Kulturgeschichte des Schlafens, Schlafforschung, Lebensrhythmen, aber auch über die nächtliche Aktivität des menschlichen Gehirns.
Sie lesen viele Bücher unterschiedlicher Literaturgenres. Welche sind Ihnen am liebsten?
L.: Ich freue mich besonders, wenn ein Buch unseren Lesern wirklich weiterhilft. Zum Beispiel hat mir im letzten Jahr die Arbeit an einem Selbstlernkurs „Deutsch für Anfänger“ besonders viel Spaß gemacht. Ich freue mich aber auch, wenn wir unseren Lesern neue Handarbeitsanleitungen, Kochbücher oder spannende Krimis anbieten können. Natürlich hoffe ich, dass die Leser unserer Kinderbücher so richtig in eine Geschichte eintauchen können, so wie ich als kleine Leseanfängerin. Für mich ist immer das Buch, an dem ich gerade arbeite, das wichtigste Buch, das es gibt. Manchmal lerne ich hier Bücher kennen, auf die ich sonst nie gestoßen wäre, die mich aber sehr bereichern. Es gibt aber auch Inhalte, die ich gern ganz schnell wieder vergessen möchte.
W.: Hier wird wirklich alles gelesen, was man sich nur vorstellen kann. Am liebsten sind mir Bücher mit guter Sprache, die klar gestaltet sind und bei denen gute redaktionelle Arbeit erkennbar ist.
Was ist das Interessante an der Arbeit einer Korrekturleserin?
W.: Die Erschließung neuer „Lesefelder“, die man von allein eventuell nie betreten hätte.
L.: Hier in der DZB ist besonders interessant, dass wir nicht auf bestimmte Themen spezialisiert sind. Bei mir können musikwissenschaftliche Texte genauso vorkommen wie Legenden von Museumsplänen oder Liebesromane. Und überall muss ich eventuelle Besonderheiten in der Gestaltung verstehen und beachten.
Welche Fähigkeiten und Kenntnisse muss eine gute Korrekturleserin haben?
W.: Die Arbeit geht sehr konzentriert vonstatten. Man hat Rechtschreibung, Buchgestaltung und Brailleschrift gleichzeitig im Blick.
L.: Man muss ein gutes Verständnis für Buch- und Textgestaltung und Rechtschreibung mitbringen, außerdem muss die blinde Korrekturleserin natürlich sehr gute Brailleschrift-Kenntnisse haben. Je besser die Allgemeinbildung, desto günstiger ist das natürlich für die Arbeit, weil es viel leichter ist, einen Text zu bearbeiten, den man versteht. Allerdings kann niemand alles wissen, und so ist es noch viel wichtiger, neugierig zu sein und sich für vieles zu interessieren, denn man kann immer nachschlagen und dazulernen, aber auch das fällt leichter, wenn man Spaß daran hat, sich auch mal mit Themen zu beschäftigen, auf die man sonst nie gekommen wäre.
An welche kuriosen Fehler erinnern Sie sich während ihrer Korrekturarbeit?
W.: Es tauchen manchmal Kürzungsfehler in der Brailleschrift auf, die den Wortsinn völlig verändern können.
L.: Einmal wollte die DZB ihren Nutzern ein paar Buchempfehlungen zu Weihnachten geben, um die Geschenkauswahl zu erleichtern, aber da hatte sich der Fehlerteufel eingeschlichen und einige Telefonnummern waren falsch. Zum Glück kennen wir unsere hausinternen Nummern auswendig und konnten sie korrigieren. Bei einem Buch oder Auftrag von außen hätten wir nichts machen können.
Welche Bücher brauchen viel Zeit in der Korrektur? Und warum?
W.: Viel Zeit für die Korrektur brauchen die Textteile der Notenwerke, die im Haus übertragen werden. Oder populärwissenschaftliche Bücher mit Grafiken, die in der Übertragung aufgelöst wurden und nun in der Korrektur nachvollzogen werden müssen. Beide oben genannten Bücher gehören dazu.
L.: Unsere Übertragungssoftware ist inzwischen sehr gut und es gibt sogar Fälle, in denen wir Bücher produzieren können, die gar nicht vollständig von uns gelesen werden müssen. Eine aufwendige Korrektur ist aber nötig, wenn wir selbst viel eingreifen mussten, z. B. in der Gestaltung und der Darstellung von Grafiken oder Tabellen.
Was machen Sie, wenn das Lesen mal nicht so von den Lippen geht?
W.: Dann gehe ich erst einmal Tee kochen.
L.: Ja, Tee trinken. Eine Pause machen und mich einfach mal bewegen.
Lesen Sie auch in Ihrer Freizeit, wenn ja, welche Bücher?
L.: Weil ich auch noch als Übersetzerin arbeite, lese ich in meiner Freizeit besonders gern in meinen Fremdsprachen, um mit ihnen und den dazugehörigen Kulturen verbunden zu bleiben. Was die Genres angeht, so bin ich sehr offen.
W.: Lesen ist Teil meines Lebens. Ich kann da Arbeit und Privatleben gut trennen.
Welches Buch würden Sie ihrer Kollegin empfehlen?
L.: „Die unwahrscheinliche Pilgerreise des Harold Fry“ von Rachel Joyce, in der Hoffnung, dass die deutsche Übersetzung gut gelungen ist. In der DZB ist es als Hörbuch unter der Bestellnummer H024526 verfügbar.
W.: Für mich gerade interessant: „Frau Thomas Mann“, eine Katia-Mann-Biografie von Inge und Walter Jens.