Edwin Diele, Hörbuchsprecher in der DZB, über lange Fußnoten in Hörbüchern, den Idealfall eines gut gesprochenen Buches und worauf es ankommt bei der Lesung eines Hörbuches.
Sie haben ein Tonmeisterstudium in Berlin gemacht und arbeiteten danach als Toningenieur. Seit 2007 sind Sie Live-Sprecher bei MDR Kultur. Wie kam es dazu, dass Sie vom Tonmeister sozusagen auf die andere Seite zum Sprecher gewechselt sind?
Als Toningenieur nehme ich seit 1995 Sprecher auf und bekam irgendwann Lust darauf, das Sprechen selbst einmal auszuprobieren. Erste Versuche ermutigten mich, und dann hat mir Frau Barbara Friederici vom MDR einen ersten Sprecherdienst anvertraut – gleich das bundesweit ausgestrahlte ARD-Nachtkonzert live. Meine Arbeit als Toningenieur und Tonmeister mache ich aber nach wie vor, das Sprechen kam eben noch dazu.
Vor Ihrem Tonmeisterstudium haben Sie in Würzburg Klavier studiert. Sie spielen also selbst sehr gut Klavier und übernehmen auch gelegentlich Moderationen für die verschiedensten Konzerte. Welche Rolle spielt für Sie die Musik in Ihrem Leben?
Die klassische Musik hat von früh auf mein Leben geprägt, am Klavier zu Hause als Kind, als Student, später im Tonstudio wie auch als aktiver Musiker oder begeisterter Konzertgänger.
Sie lesen seit 2008 für die DZB. Wie kamen Sie zum Hörbuchsprechen?
Meine Arbeit als Rundfunksprecher hat mir so gut gefallen, dass ich mich initiativ bei der DZB als Sprecher von Hörbüchern beworben habe. Zu dem Zeitpunkt wurde zufällig ein Sprecher gesucht und nach einem Vorlesen von drei Texten vor einem kleinen Gremium wurde ich dann in den Kreis der DZB-Sprecher aufgenommen.
Was gefällt Ihnen an Ihrer Arbeit als Sprecher von Hörbüchern?
Jeder Text ist anders: Roman, Sachbuch, Ratgeber, Kurzgeschichte, auch mal ein erotischer Text: Immer darf und muss ich als Sprecher eine Haltung zu einem Text finden, ob der mir nun mehr oder weniger liegt oder gefällt, ob es vielleicht eine sehr gute Übersetzung ist oder eine eher mäßige, ob das Thema mich persönlich berührt oder nicht: Darauf kommt es in dem Moment nicht mehr an, in dem ich das erste Wort lese: Dann versetze ich mich in die Geschichte des Autors bzw. in seine Romanfiguren und durchlebe im besten Falle die Handlung mit. Bei Sachbüchern versetze ich mich in den Hörer und möchte, dass er den Inhalt möglichst gut versteht und gut präsentiert bekommt.
Wie schaffen Sie es, den verschiedensten Charakteren eines Buches eine Stimme zu geben?
Ich stelle mir die Personen bildhaft vor und damit auch deren Charaktere. Das ist eine ganz subjektive Angelegenheit. Dabei spielt Sympathie eine Rolle, auch Unverständnis, Verachtung, Bewunderung. Ganz gleich was, irgendetwas muss ich im Moment des Lesens empfinden, dann kommt das für Hörer und Hörerin (im besten Falle) so an. Nur ein Ablesen der Worte funktioniert nicht. So ist das Sprechen eine anstrengende Angelegenheit, bei der aber alles immer locker klingen muss, dem Hörer zugewandt, stimmlich entspannt. Das ist bei der Musik oder beim Tanz nicht anders.
Lesen Sie die Bücher vor der Aufnahme schon mal quer? Wie bereiten Sie sich auf die Lesung vor?
Bis vor einigen Jahren habe ich die Bücher vorher ganz durchgelesen. Jetzt lasse ich mich lieber vom Fortgang der Geschichte überraschen (und damit auch den Hörer). Allerdings prüfe ich sie im Querlesen auf Fremdworte. Eines meiner letzten Bücher war der historische Roman „Die Tränen des Porzellans“ von Jade Y. Chen, der in China spielt. Dafür musste ich viele Aussprachehilfen nutzen, im Internet wie auch zusammen mit meinem Aufnahmeleiter in der DZB.
Welches Buch empfanden Sie als eine große Herausforderung für Sie? Und warum?
Je besser das Buch oder die Übersetzung, desto leichter ist die Lesung, desto mehr Freude macht sie. Umgekehrt kann eine zu wörtliche Übersetzung oder auch eine nicht nachvollziehbare Geschichte das Lesen erschweren; in solchen Momenten darf ich das als Sprecher nicht persönlich nehmen (man könnte da schon mal fluchen…), sondern muss es erst recht lesen, als sei es das beste Buch der Welt. Schwierig sind auch Bücher mit vielen Fußnoten. Ein sehender Leser kann dann mit den Augen ans Seitenende springen und sie lesen oder es lassen; ein blinder Zuhörer muss sich dann die u.U. lange Fußnote anhören und dann wieder in den eigentlichen Text hereinfinden. Das muss ich als Sprecher deutlich voneinander absetzen, in Stimmfall und Stimmhaltung.
Was meinen Sie, welche Fähigkeiten sollte ein guter Sprecher von Hörbüchern haben?
Er muss einen Weg finden, das Buch zu durchleben. Der Sprecher als Individuum sollte völlig in den Hintergrund treten, und der Hörer soll die fiktive Welt in allen Facetten vor sich sehen. Es ist wie bei einem 3D-Bild: Erst sehen Sie nur einen Haufen Punkte und Striche, aber wenn der richtige Abstand mit den Augen gefunden ist, tritt das wahre Bild zu Tage: Eine Zahl, ein Bild, eine Naturszene. Dann sind die Punkte und Striche unsichtbar. Besonders beeindruckt hat mich zuletzt Burkhard Klausner mit der Biografie von Wolf Biermann: Es klingt so, als würde der Sprecher in launiger Runde seinen Freunden sein eigenes Leben schildern – das ist der Idealfall.
Welches Buch würden Sie gern mal als Hörbuch hören? Und von wem sollte es gelesen werden?
In meiner Jugend habe ich die Romane von Jules Verne verschlungen. „Fünf Wochen im Ballon“ mit Udo Wachtveitl, das würde mich sehr interessieren.
Was ist Ihr Lieblingsgeräusch?
Wellen am Strand.