Homeoffice in Zeiten von Corona
Wenn ich aus den großen Fenstern unseres Esszimmers schaue, sehe ich das Einfamilienhaus und den Garten unserer Familie von gegenüber. Überall blüht Forsythia und morgens holt Herr D. die Zeitung aus dem Briefkasten. Ich sitze an unserem großen Esstisch am Laptop, checke meine E-Mails und höre in den Nachrichten die neuesten Fallzahlen der Corona-Infizierten. Seit zwei Wochen arbeite ich, wie viele meiner Kolleginnen und Kollegen im Deutschen Zentrum für barrierefreies Lesen (dzb lesen), im Homeoffice. Ein kleiner Teil der Belegschaft hält die Produktion aufrecht. Bücher kann man schlecht im Homeoffice drucken oder im Studio auflesen. Auch können unsere Nutzerinnen und Nutzer per Telefon und E-Mail immer noch Bücher ausleihen und kaufen. Diesen Service garantieren wir.
Alles erscheint mir so unwirklich: die Kontaktverbote, die Menschen im Supermarkt mit Mundschutz und Einweghandschuhen, die Abstandsmarkierungen an den Kassen des Supermarktes, die geschlossenen Geschäfte, Museen, Theater, Restaurants und Kinos. Ich sitze am Laptop und schreibe einen Artikel für „in puncto dzb lesen“. Ich bin Redakteurin des Kundenmagazins, das online, aber auch in Brailleschrift und als Hörzeitschrift erscheint. Ich schaue auf den Bildschirm meines Laptops und überlege, wie ich in der nächsten Ausgabe über unsere Arbeit in diesen außerordentlichen Zeiten schreiben kann. Doch immer wieder kreisen meine Gedanken um meine betagte Schwiegermutter, die zur Risikoperson gehört und die jetzt sehr einsam ist, weil wir sie nicht besuchen können. Ich sorge mich um meine Töchter: Die eine ist Ärztin und kann täglich mit dem Virus infiziert werden. Die andere ist Musikerin und auch jetzt sehr kreativ, wenn es darum geht, Musik zu produzieren.
Bücher sind wichtig – gerade jetzt
Ich stelle mir vor, wie es meinen jungen Kolleginnen und Kollegen geht, die zu Hause arbeiten und außerdem noch ihre Kinder zu betreuen haben. Eine oder zwei Wochen mag das vielleicht gut gehen, aber dann? Wir sind nur zu zweit. Mein Mann hat sich am Schreibtisch im ehemaligen Kinderzimmer eingerichtet. Zu den Mahlzeiten treffen wir uns dann.
Meine Freundin hat angerufen. Sie hätte endlich mal alle Gardinen waschen können und viel zu viel Kuchen gebacken. Und ob ich noch ein paar Bücher hätte. Sie wollte sich eigentlich welche ausleihen, aber die Bibliotheken sind ja geschlossen. Bücher sind wichtig, denke ich, gerade wenn soziale Kontakte fehlen. Ich schreibe Rezensionen zu neuen Braille- und Hörbüchern aus dem dzb lesen und stelle sie auf unsere Internetseite. Eine Buchempfehlung schicke ich an die Redaktion der „Sichtweisen“.
Auch auf den Social Media-Kanälen, wo ich für dzb lesen unterwegs bin, dreht sich alles um die Corona-Krise. Nein, ich lese auf Facebook nicht die eingegangenen Posts von Verschwörungstheorien und anderen Horrormeldungen. Vielmehr ärgere ich mich über den Begriff social distancing, den man jetzt so oft gebraucht. Er suggeriert sozialen Abstand und meint aber körperlichen. Dabei ist gerade jetzt soziale Nähe zu Personen, die wir nicht treffen können, ganz wichtig. Und dann stelle fest, wie schnell sich Organisationen vernetzen, um beispielsweise blinden und sehbehinderten Menschen in Zeiten des körperlichen Kontaktverbotes zu helfen. Ich frage mich: Wie schaffen es jetzt blinde Menschen, einkaufen zu gehen ohne sich einer Virus-Gefahr auszusetzen?
Wenn zu viele Fragen in meinem Kopf schwirren, laufe ich mir den Kopf frei: Zum Glück kann man ja noch joggen.