Papier, Maschine, Fantasie – mehr braucht man nicht!

Wer seinen Verein „einfach machbar e. V.“ nennt, der assoziiert damit, dass er unkompliziert nach Lösungen sucht, aktiv wird, um kurzerhand Dinge zu verwirklichen. Ein passender Name für einen Verein, der 2017 von blinden und sehenden Menschen in Leipzig gegründet wurde. Heute engagieren sich hier neun Mitglieder aus unterschiedlichen Berufen und eine Reihe externer Helfer. Sie möchten das gemeinsame Lernen von Menschen mit und ohne Behinderung fördern oder überhaupt erst einmal ins Leben rufen. Im Vordergrund stehen dabei Projekte und Workshops an Schulen, in denen vor allem Kinder im gemeinsamen Miteinander die Welt der anderen spielerisch entdecken. Mithilfe von gebastelten fühlbaren Bildern erkunden sie ihr Umfeld mit anderen Sinnen und lernen, was Anders sein bedeutet und was jeden Menschen so besonders macht.

Ein ganz besonderes Projekt: taktile Braillebilder

„Zeile 1: 2 Leerzeichen, Fragezeichen, Leerzeichen, Punkte 3,5“, Anja Lehmann sagt diese Zeichen- und Zahlenkombination einem Mädchen an, das vor einer Punktschriftmaschine sitzt und diese Zeichen mit Hilfe der Maschine ins Papier drückt. Nach sechs Zeilen und verschiedenen Braillezeichen-Kombinationen ist ein Marienkäfer auf dem Papier zu sehen und zu ertasten. „Das ist Louis, unser Marienkäfer und hier ist Sophie, das Eichhörnchen“, sagt Anja Lehmann und zeigt verschiedene andere taktile Bilder: ein Flugzeug, eine Eiswaffel und den Eiffelturm. „Das Schöne daran ist, dass blinde und sehende Menschen gemeinsam taktile Bilder auf dem Papier entstehen lassen, die danach auch ausgemalt werden können.“ Anja Lehmann ist Mitglied im Verein „einfach machbar e. V.“. Der Verein hat sich schon viele Braille-Bilder ausgedacht und deren Anleitungen auf seiner Internetseite www.einfachmachbar.de/projekt-braillebilder Interessierten zur Verfügung gestellt. Nermin Hasic, ebenfalls Mitglied des Vereins, hat das Projekt ins Leben gerufen. Mit ihm sprach Gabi Schulze.

Ihr Verein entwirft Anleitungen für Braillebilder. Bitte erklären Sie, was sind das für Braillebilder und wie entstehen sie? Was braucht man dazu?

Wie die meisten Leser sicher wissen, besteht die Brailleschrift – Computerbraille mal ausgenommen – aus 6 Punkten. Jeder dieser Punkte bildet in der Summe eine bestimmte Breite und Länge in einer Zeile ab, wenn er durch eine Punktschriftmaschine in Papier geprägt wird. Dieses Prinzip machen wir uns nun zu Nutze. Die Bilder setzen sich aus vorgegebenen Punktmustern zusammen und entstehen Zeile für Zeile, werden sozusagen nach Anleitung „gezeichnet“. Das können nun Alltagsgegenstände sein, Tiere, kleine Szenen, die Ideenvielfalt überrascht uns oft selbst. Man braucht lediglich eine Punktschriftmaschine, die Anleitung als Vorlage, und los geht’s! Vollschriftkenntnisse werden bei blinden Malern vorausgesetzt! Damit die Bilder besser erkannt werden, ist ihnen eine kleine Erklärung vorangestellt: z. B. „ein Häschen, das zum Sprung bereit ist“, oder „ein Vogel, der auf einem Ast sitzt“.

Kann jeder solche Braillebilder entwerfen?

Im Prinzip kann jeder, der eine Form im Kopf hat, sich an die Punktschriftmaschine setzen und „losmalen“. Man muss sich nur merken, welche Zeichen in welcher Zeile stehen und die Reihenfolge aufschreiben. Wir freuen uns übrigens sehr auf Zuschriften mit neuen Bildern aus der Community!

Wie sind sie dazu gekommen, Anleitungen für Braillebilder auf ihrer Webseite zu veröffentlichen und selbst zu entwerfen?

Ursprünglich waren die Braillebilder aus der Not geboren. Liveprojekte wurden durch Corona und die diversen Lockdowns unmöglich, und wir hatten in dieser Zeit auch keine Alternativen, die wir im Verein coronakonform durchführen und planen konnten.
Bereits vor Corona hatte ich mich bei einem englischsprachigen Newsletter angemeldet, wo jeden Monat die Rubrik „Braillables“ fester Bestandteil war. Das waren englischsprachige Anleitungen für Braillebilder mit einer zum Newsletter passenden Einführung. Die damalige Herausgeberin Karen Santiago hat sie mit viel Liebe zum Detail selbst ausgesucht.
Dadurch sah ich mich sofort in meine Schulzeit zurückversetzt, wo ein Freund von mir auf einer Marburger Eurotype (der dortigen Punktschriftmaschine) irgendwelche Formen und komplexere Strukturen zeichnete, aus Spaß an der Freude und zum intellektuellen Zeitvertreib. Im Verein haben wir dann untereinander einfach selbst Motive ausprobiert, ich habe mich mit Karen per E-Mail ausgetauscht und auch neues Bilderfutter erhalten. Dann habe ich vorsichtig angefragt, ob wir nicht die Vorlagen aus ihrem Newsletter nutzen könnten, weil uns das Thema universelles Design, Braille und Bilder gut geeignet erschien. Sie war einverstanden und wünschte uns auch viel Glück für den Verein.

Wer denkt sich die Anleitungen für die Bilder aus? Und wer setzt sie dann um?

Manchmal gehen die Ideen für neue Bilder auf Zuschriften zurück, aber meistens stammen sie von externen Helfern, die diese Art der Bildkreation so dermaßen fasziniert hat, dass sie uns mit immer neuen Schöpfungen aus der Bilderschmiede begeistern. Sie nutzen nichtkommerzielle Schriftarten für den Computer oder Matrizen, mit denen sie dann sämtliche Formen quasi virtuell am Bildschirm oder auf Papier in Punktschrift zeichnen. Wir Punktschriftler bringen sie dann auf das Papier, begutachten sie und befinden dann, ob sie Teil des monatlichen Bilderkarussells werden sollen. Einiges stammt auch aus den Vorlagen, die wir damals von Karen Santiago bekommen haben.

Für wen sind die Braillebilder gedacht?

Gedacht sind sie für jeden, der spielerisch die Brailleschrift üben möchte. Vielleicht auch für diejenigen, die durch ihre Lebensumstände dazu gezwungen sind und keinen rechten Zugang zu Braille finden. Die Einsatzzwecke können beispielsweise Glückwunschkarten für die Familie, Lesezeichen oder Wandbilder sein. Viele davon könnte man auch gemeinsam bekleben, ausmalen oder sonst verändern, um sie zu seinem persönlichen Bild zu machen. Ein blindes Familienmitglied könnte für den Bruder oder die Schwester das Bild fühlbar in Punktschrift erstellen, und die Eltern bemalen es oder man klebt zusammen interessante Stoffe und Materialien darauf.

Was ist ihr Lieblingsmotiv bei den Braillebildern?

Das ist eine schwierige Frage. Mein Favorit ist der auf dem Ast sitzende Vogel, dicht gefolgt vom Schmetterling und dem Schlüssel.

Vielen Dank, Herr Hasic!

Wer Lust bekommen hat, ein eigenes Bild zu „braillen“, kann die Anleitung gern an mail@einfachmachbar.de schicken.

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