Katja Oskamp über Fußpflege und ihr Buch „Marzahn, mon amour“

Im Frühsommer erschien Katja Oskamps Geschichtenband „Marzahn, mon amour“ im dzb lesen (Voll- und Kurzschrift, Großdruck). Darin erzählt die Autorin Geschichten einer Fußpflegerin, die in Berlin-Marzahn, dem größten Plattenbaugebiet der ehemaligen DDR, arbeitet und hier meist Rentnern, Alteingesessenen und in die Jahre Gekommenen begegnet. Das Leben in der einstigen DDR hat diese geprägt und die Wende aus der Bahn geworfen. Katja Oskamp schenkt deren Lebensläufen ein Ohr und macht sie für die Öffentlichkeit sichtbar. Es sind zum Teil witzige, aber auch traurige und ergreifende Porträts – immer individuelle Schicksale, die die Autorin mit großer Anteilnahme, Gespür für Komik und vor allem mit viel Wärme und Menschlichkeit zeichnet.

Das Leben der Ich-Erzählerin weist Parallelen zur Autorin auf. Mitte 40 hat Katja Oskamp (geb. 1970) eine Schaffenskrise als Schriftstellerin und beschließt etwas ganz Neues. Sie geht unter die Leute, absolviert einen achtwöchigen Kurs für Fußpflege und arbeitet seitdem zwei Tage in der Woche als Fußpflegerin in einem Kosmetikstudio in Berlin-Marzahn. Im Interview erzählt die Autorin von Berlin-Mahrzahn, ihrer Arbeit als Fußpflegerin und wie das Buch entstanden ist.

Im Buch gibt es unterschiedliche Lebensgeschichten, z. B. die eines Herrn Paulke, der sein Leben lang Möbel geschleppt hat oder einer Frau Janusch, die 15 Jahre lang ihren kranken Mann pflegte. Was sind das für Biografien?

Das sind die Lebensgeschichten meiner Fußpflegekunden. Es sind DDR-Biografien, die mit dem Ende des Staates in zwei Teile zerfielen, in ein Vorher und ein Nachher. Es sind aber auch Geschichten vom Jungsein und vom Altwerden, von den Fragen, die sich jedem stellen, wenn das Leben sich in die Schlusskurve legt.

Während des Fußbades und beim Schneiden der Zehennägel, also während einer sehr intimen Sache, erzählen ihre Kundinnen und Kunden ihre zum Teil sehr persönlichen Geschichten. Wie haben Sie ihr Vertrauen gewinnen können?

Das musste ich gar nicht gewinnen; der Kontakt und der Austausch haben sich ganz organisch ergeben. Man sieht sich alle sechs Wochen wieder, man lernt sich kennen, man geht eine Beziehung ein. Ich habe mich einfach dafür interessiert, was meine Kunden mir erzählt haben.

Wann merkten Sie, dass sie diese Geschichten aufschreiben müssen und ein Buch daraus machen sollten?

Das hat eine Weile gedauert. Ich habe 2015 im Kosmetikstudio angefangen und über zwei Jahre nur Füße gepflegt und zugehört. Irgendwann war ich so voll von den Geschichten, ob sie nun ergreifend, lustig oder absurd waren, dass ich ein erstes Kundenporträt schrieb. Es erschien Anfang 2018 im Internet auf Zeit Online. Ich schrieb weitere Geschichten und eine Serie entstand. Darauf wurde der Verlag, Hanser Berlin, aufmerksam und schlug vor, ein Buch zu machen. Und so schrieb ich immer weiter, bis das Buch irgendwann fertig war.

Welche Person aus ihrem Buch haben Sie am meisten ins Herz geschlossen? Und warum?

Da kann ich mich schwer entscheiden. Ich habe sie alle gern, sogar die Unsympathischen, vielleicht, weil ich sie als Figuren so gut kenne. Mit der Frau, die im Buch Gerlinde Bonkat heißt, hat mich besonders viel verbunden. Sie kam jahrelang alle zwei Wochen zu mir. Mit Gerlinde Bonkat konnte ich mich sehr gut unterhalten. Sie ist als Kind mit Mutter und Bruder aus Ostpreußen geflüchtet, hat als Christin in der DDR gelebt, seit 1981 in Marzahn, und zwar äußerst autonom. Ihre Lebensgeschichte, aber auch ihre Lebenshaltung, die kesse Lippe, die sie oft riskierte, haben mir imponiert. Inzwischen ist sie gestorben. Ihre Beerdigung fand auf dem Parkfriedhof Marzahn statt. Ich war da.

In den Momentaufnahmen von Marzahn merkt man, dass Sie diesen Stadtteil von Berlin mögen und dass Sie keine gängigen Klischees bedienen möchten. Das hat sicher mit ihrer Kundschaft und deren berührenden Lebensläufen zu tun, oder?

Es macht einen Unterschied, ob man als Tourist oder Reporter durch Marzahn schlendert oder ob man jede Woche zur Arbeit dorthin fährt. Ich habe hinter die Beton-Fassaden geschaut und bin Teil des alltäglichen Lebens geworden. Es ist immer dasselbe: je tiefer man in eine Sache eintaucht, umso vielgestaltiger fächert sie auf. Die gängigen Klischees taugen dann nichts mehr. Ich habe mich immer sehr auf die Arbeitstage in Marzahn gefreut. Das merkt man dem Buch wohl an.

Was glauben Sie, warum wurde Ihr Buch sowohl von den Kritikern als auch vom Lesepublikum so begeistert aufgenommen?

Das weiß ich nicht so genau, aber es freut und wundert mich noch immer. Vielleicht, weil alle Leute Füße haben, sogar Kritiker. Vielleicht, weil das Buch zeigt, dass jedes noch so scheinbar gewöhnliche Leben einen erzählenswerten Kern hat, mitunter einen sensationellen Kern. Es kommt nur darauf an, ihn aufzustöbern.

Schreiben Sie schon an einem neuen Buch und verraten Sie uns die Thematik?

Im neuen Buch geht es darum, wie sich die Liebe im Älterwerden verändert. Ich untersuche das an meiner eigenen Geschichte, bin mittendrin und weiß noch nicht, wohin die Reise geht.

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