Willkommen, bienvenue, welcome!

10 Jahre Audiodeskription im Schauspiel Leipzig

Sieben Tänzerinnen und Tänzer gruppieren sich um einen Conférencier im schwarzen Wrack und einer hockenden Tänzerin. Sie tragen schrille Kostüme und Kopfbegleitungen. Dirk Lange und die Kit-Kat-Girls- und Boys

Zum 10-jährigen Jubiläum Audiodeskription lud das Schauspiel Leipzig am 17. November 2023 blinde Theaterfreunde zu einem Podiumsgespräch mit anschließender Führung durch das Haus und dem Besuch des Musicals „Cabaret“ ein.

 

Show-Girls und Show-Boys tanzen auf der Bühne, wedeln mit ihren pinkfarbenen Fächern, räkeln sich in ihren Netzbodys und in den mit Strass und Glitzer belegten freizügigen Kostümen. Mit den Sounds der Goldenen Zwanziger, die eine zwölfköpfige Live-Band auf der Bühne bravourös zum Klingen bringt, beginnt der Tanz auf dem Vulkan. Das Publikum wird in den Berliner Kit Kat Club geführt, einem Ort des Vergnügens, der Sehnsüchte und der Freiheit. Hier wird gefeiert, gesungen und getanzt – unabhängig von Weltanschauung, Religion, Alter, Hautfarbe und sexueller Identität! Der Conférencier, ein Gastgeber mit diabolischem Lächeln, lädt ein, die Sorgen an der Garderobe abzugeben und verspricht dem Publikum beste Unterhaltung. Dieses lässt sich gern in den schrillen Nachtclub entführen und heizt die Stimmung mit Applaus an.

Zum Publikum gehören ca. 20 blinde und sehbehinderte Personen, begleitet von Angehörigen, die an der Premiere der Audiodeskription (AD) des Musicals „Cabaret“ teilnehmen. Anlässlich des 10-jährigen Jubiläums der AD am Schauspiel wurden sie vor der Premiere des Musicals zu einem Podiumsgespräch mit Akteuren der Audiodeskription eingeladen. Dieses eröffnet kein geringerer als der Theaterintendant Enrico Lübbe. Er erinnert an die Anfänge des damaligen Projektes 2013 und dessen bundesweite Pilotrolle. Heute seien Audiodeskriptionen am Schauspiel Leipzig Standard. Es gibt mindestens eine Vorstellung pro Monat mit Audiodeskription, betont er und verweist auf die 30 Inszenierungen und 110 Aufführungen, die in den zehn Jahren stattfanden.

Man braucht ein festes Autorenteam

Doch wie hat alles angefangen? Der Dramaturg und Audiodeskriptionsautor Matthias Huber und die Dramaturgin Christin Ihle gehören neben Jürgen Dusel (Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen), Prof. Dr. Thomas Kahlisch (dzb lesen), Renate Lehmann (Audiodeskriptionsautorin), Pernille Sonne (Performerin und Audiodeskriptionsautorin) und Sabine Meissner (Besucherin) zu den Gästen des Podiumsgespräches. Sie erinnern sich: „Man braucht Leute, die was mit dem Theater zu tun haben“, meint Matthias Huber. „Man braucht ein Team, das die Bildbeschreibungen umsetzt, ein festes Autorenteam, das die Dramaturgie unterstützt. Alle müssen einbezogen werden – Bühnentechnik, Requisiten, Tontechnik. Das war eine Herkulesaufgabe!“ Christin Ihle ergänzt: „Zum einen galt es, ins Haus zu kommunizieren, zum anderen war zu klären, wie man dieses Angebot in die Welt hinausschickt.“

Das gehe nicht ohne starke Partner wie den Blinden- und Sehbehindertenverband Sachsen und das dzb lesen, betonen sie. Hannah Reuter, die das Podiumsgespräch moderiert, holt an dieser Stelle die blinden Autorinnen Pernille Sonne und Renate Lehmann ins Boot und lässt beide ihre Arbeit beschreiben. „Wir sind das Korrektiv im Prozess“, sagt Renate Lehmann. „Wir überprüfen, ob die Beschreibung des Bühnengeschehens zu verstehen ist.“ Und Pernille Sonne erklärt: „Wir diskutieren viel, wie bestimmte Bilder beschrieben werden müssen. Erst wenn ich keine Fragen mehr stellen muss, ist die AD perfekt. Dann kann das blinde Publikum auch an den Stellen lachen, an denen das sehende lacht.“ Renate Lehmann fügt hinzu, dass nicht alles beschrieben werden kann. Der Fokus müsse auf dem Inhalt liegen, der möglichst objektiv sein soll.

Mehrere Personen mit Langstöcken und Begleitung bei einer Führung auf der Bühne des Schauspiel Leipzig (im Hintergrund Treppen und eine weiße Wand)

So fühlt sich Sallys schwarzes Minikleid an

Ein Theaterstück wie „Cabaret“ mit schnell wechselnden Tanzszenen und Gesangseinlagen, mit Videoprojektionen und mehreren Spielebenen auf einer Drehbühne ist wahrlich eine große Herausforderung sowohl für die Text-Autor*innen als auch für die Live-Sprecherin Beatrix Hermens. Letztere muss gerade in dieser Inszenierung konzentriert und mit einem hohen Maß an Flexibilität das Bühnen-Geschehen beschreiben. Es gibt nur wenige Pausen, in denen das Beschriebene auf das Publikum wirken kann.
Eine, die schon so manche Vorstellung mit AD am Schauspiel in Leipzig erlebt hat, ist Sabine Meissner. Sie findet die Bildbeschreibungen für blinde Personen großartig und ist immer bei den taktilen Bühnenführungen und den Stückeinführungen dabei, erzählt sie den Gästen des Podiumsgespräches.

An diesem Abend zeigt Maila Giesder-Pempelforth (Audiodeskriptionsautorin) die „Cabaret“-Kostüme, die die Gäste ertasten können. Matthias Huber beschreibt die Bühne mit dem in die Publikumsreihen hineinragenden Laufsteg, der Showtreppe, den runden Tischen und der Bar des Nachtclubs. Wenn der Conférencier mit Zylinder und Smoking über den Laufsteg tänzelt, die Nachtclub-Sängerin Sally Bowles sich im glitzernden Kostüm auf der Showtreppe bewegt und das spielfreudige Ensemble über die Bühne wirbelt, können in den Köpfen des Publikums vielfältige Bilder von Bühne und Kostümen entstehen.

Eine Frau (Maila Giesder-Pempelforth) mit langen schwarzen Haaren zeigt ein gelbes Kostüm mit Pailletten hoch.

Theater schaffe Begegnungen von Menschen unterschiedlicher Sozialisation und es verbindet all jene, die Kultur genießen wollen, erklärt Jürgen Dusel im Podiumsgespräch. Er betont, dass blinde und sehbehinderte Menschen ein unabdingbares Recht darauf haben, gleichberechtigt am kulturellen Leben teilzuhaben. Das sei kein Akt der Wohltätigkeit. „Kulturangebote wie diese treiben die Inklusion voran und stärken zugleich die Demokratie“, meint er. Bundesweit seien inklusive Kulturangebote, wie es sie am Schauspiel Leipzig gibt, noch lange keine Selbstverständlichkeit.
Mit „Willkommen, bienvenue, welcome!“ im Ohr und starken Eindrücken entlässt das Theater seine Besucher*innen in eine milde Novembernacht. Willkommen sind sie auf jeden Fall auch zur nächsten Vorstellung.

Weitere Termine: https://www.schauspiel-leipzig.de/inklusion/audiodeskription/

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