Ein Hörspiel, das im dzb lesen „überlebte“

Unsere Hörbibliothek erreichte eine ungewöhnliche Anfrage. Dr. Hans-Jürgen Krug war auf ein Hörspiel aufmerksam geworden, das er noch zu Zeiten der Tonband-Ausleihe in der damaligen DZB ausgeliehen und gehört hatte. Es handelt sich hierbei um die Funkbearbeitung der Erzählung „Das Geständnis“ von Brigitte Reimann, die 1960 im Aufbau Verlag erschien. Im laufenden Brigitte-Reimann-Jahr, – 2023 ist der 50. Todestag und der 90. Geburtstag der Schriftstellerin – in dem auch eine neue Brigitte Reimann-Biografie von Carsten Gansel erschien, stellte er fest, dass das Hörspiel weder in der Reimann-Bibliographie noch in einer Hörspieldatenbank aufgelistet ist. Daraufhin recherchierte er im dzb lesen und beim Rundfunkarchiv in Potsdam. Lesen Sie mehr über den Verbleib des Hörspiels im folgenden Interview mit Dr. Hans-Jürgen Krug.

Sie haben das Hörspiel „Das Geständnis“ schon einmal vor 20 Jahren gehört. Erinnern Sie sich noch daran, warum Sie sich dieses Hörbuch ausgeliehen hatten?

Ich hatte Ende der 1990er Jahre noch mit optischen Hilfsmitteln die gerade herausgekommenen Tagebücher und den ungekürzten Roman „Franziska Linkerhand“ von Brigitte Reimann gelesen. Das weitere Gesamtwerk, einschließlich der zahlreichen Briefwechsel, war dann aber mit schwindendem Sehrest so nicht mehr zu erschließen. Ich war dankbar, dass es in der damaligen DZB, großenteils noch aus DDR-Zeiten, die Hörbuch-Aufsprachen des Romans, der Erzählungen und des Briefwechsels sowie der Tagebücher gab. Dazu gehörten auch die Funkbearbeitung von „Das Geständnis“ sowie die beiden preisgekrönten Hörspiele „Ein Mann steht vor der Tür“ und „Sieben Scheffel Salz“, an die ich sonst nur auf Umwegen herangekommen wäre. In besonderer Erinnerung ist mir die 1975 entstandene Aufsprache der „Franziska“ von Dorothea Garling. Da konnte man fast schon in Tränen ausbrechen, wenn sie nur die Kapitelüberschriften las…

Aus welchem Anlass sind Sie jetzt noch einmal auf das Hörspiel gekommen?

Der Anlass war, dass dieses Hörspiel in der neuen Brigitte Reimann-Biografie von Carsten Gansel als damals vom Rundfunk abgelehnt aufgeführt ist. Es wird ein Briefwechsel zitiert, in dem die Schriftstellerin noch Anfang Januar 1960 versuchte, die politischen Bedenken der Redakteurin hinsichtlich der Bewertung von Verbrechen aus der NS-Zeit zu zerstreuen. Es blieb aber bei dieser Ablehnung. Das Hörspiel ist auch in keiner Datenbank erfasst und taucht auch nicht in der umfassenden Bibliografie und dem Werkverzeichnis von Kristina Stella auf, die sonst alle Hörspiele und DZB-Hörbücher getreulich aufgeführt hatte. Die Funkfassung dürfte es also gar nicht geben, hat aber dank der Aufnahme in den Bestand der DZB „überlebt“!

Wen haben Sie bei Ihrer Recherche kontaktiert, um mehr über den Verbleib des Hörspiels zu erfahren? Und wie erfolgreich war Ihr Kontakt?

Zunächst hatte ich im dzb lesen selbst angefragt, da ich ja aus dem akustischen Vorspann wusste, dass die Funkbearbeitung im Dezember 1964 vom Staatlichen Rundfunkkomitee der DDR der DZB in Leipzig überlassen wurde. Leider konnte ich dort erst einmal keine weiteren Angaben erfahren. Erst beim Rundfunkarchiv in Potsdam teilte man mir mit, dass das Hörspiel am Sonntag, dem 8. September 1963 bei Radio DDR I, vor genau 60 Jahren, einmal gesendet wurde und zwar von 21 bis 22 Uhr. Die Funkbearbeitung ist also nicht nur produziert, sondern mindestens einmal gesendet worden.
Mit der Kenntnis des genauen Sendetermins konnte ich gleich im digitalen Zeitungsarchiv der Berliner Staatsbibliothek nach der damaligen Programmvorschau in der „Berliner Zeitung“ recherchieren. Da stand das Hörspiel auch tatsächlich am erwarteten Platz, aber ohne Nennung des Namens von Brigitte Reimann, denn sonst hätte ich den Sendeplatz schon früher ausfindig gemacht. Bei dieser Recherche erfuhr ich auch, dass die Ausstrahlung anlässlich des Internationalen Gedenktages für die Opfer des Faschismus erfolgte, der damals alljährlich am zweiten Sonntag im September begangen wurde.

Worum geht es in der Erzählung „Das Geständnis“?

Die Erzählung basiert auf einem authentischen Fall aus der Magdeburger Staatsanwaltschaft: Im Frühjahr 1959 stellte sich ein junger Mann dem Staatsanwalt. Er hatte 1945, in den letzten Kriegstagen, als bewaffneter Hitlerjunge einen versteckten Deserteur an die Feldgendarmerie ausgeliefert. Dieser wurde noch am selben Tag erschossen. Diese Schuld hatte er 14 Jahre verdrängt, auch indem er glaubte, in seinem strebsamen Arbeitsalltag als Maschinenbauer in einem volkseigenen Betrieb seine Schuld vergessen machen zu können. Durch seine Arbeit in der FDJ, das Abitur in der Abendschule, durch literarische Zirkelarbeit und sogar im Sport entsteht so etwas wie eine vorbildliche Jugendbiografie. Erst als der junge Mann Martin zum Lehrerstudium delegiert werden soll, wird er von seiner Braut Karla gedrängt, sich mit dem alten Verbrechen den Behörden zu stellen.

Was gefällt Ihnen an diesem Hörspiel bzw. dem Roman „Das Geständnis“?

Mir gefällt, wie auch an den weiteren Texten aus dieser Zeit der 1950er und der späteren Jahre, dass die damaligen Verhältnisse, die Denk- und Verhaltensmuster geradezu physisch nacherlebbar werden. Es waren alles Menschen, die die für sie gegenwärtige Aufbruchsstimmung tatsächlich geteilt hatten. Diese Zeugnisse halte ich deshalb für so wertvoll, da in dem heute dominierenden Geschichtsbild das DDR-System leider komplett delegitimiert wird.

Sie sind Brigitte Reimann-Fan?

Ja, ich bin noch immer von der Schriftstellerin fasziniert, obwohl ihr nur eine kurze Lebensspanne von nicht einmal 40 Jahren gegeben war, die selbst meine Kinder inzwischen erreicht und schon überschritten haben. Gelesen und gehört habe ich wohl inzwischen alles, was irgendwie von ihr oder über sie verfügbar geworden ist. Meine Frau hatte mich auch zu Pilgerfahrten zu verschiedenen Archiven und Bibliotheken begleitet, um etwa unveröffentlichte Texte oder Zeitungsartikel ausfindig zu machen. Da ging es beispielsweise nach Schwarze Pumpe, nach Hoyerswerda oder nach Neubrandenburg.

Zur Person

Dr. Hans-Jürgen Krug, geboren 1953, studierte nach dem Abitur (Schwerhörigen-Oberschule Berlin-Friedrichshain) Physik an der Berliner Humboldt-Universität. Er arbeitete danach an der DDR-Akademie im Zentralinstitut für physikalische Chemie. 1983 promovierte er und nach der Abwicklung der Akademie wechselte er an die TU Berlin.
Er erblindete infolge des Usher-Syndroms und ist seit Ende der 1990er Jahre Nutzer des dzb lesen. Seinen Aufsatz „Unbekanntes Hörspiel von Brigitte Reimann im dzb lesen Leipzig“ veröffentlichte er im „Usher-Magazin“ 43 (Dezember 2023).

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