Ein Ort, wo man Freunde trifft

Eindrücke vom Louis-Braille-Festival 2024 in Stuttgart von Gabi Schulze

Eine großer Eingang mit Überdachung, davor links und rechts zwei lilafarbene Schaukelpferde, darüber ein großes Plakat "Louis Braille Festival 2024 mit lila Rössle und Reiterin
Der Eingang zur Liederhalle

Wer nach Stuttgart unterwegs ist, fährt in einen tiefen Talkessel, der von grünen Weinbergen und Wäldern umrahmt wird. Diese topografische Lage ist deutschlandweit einmalig. Einmalig ist auch der Autoverkehr, der sich abwärts in Richtung Innenstadt wälzt, vorbei am Verwaltungssitz der Landesbank Baden-Württemberg und anderen Banken, dem Bülow-Turm, Porsche-Zentrum und vielen Hotels und Geschäftszentren. An den Magistralen hängen jede Menge Wahlplakate und etwas unscheinbar dazwischen kündigen Aufsteller mit lilafarbenen Rössle und Reiterin das Louis-Braille-Festival vom 3. bis 5. Mai 2024 an. Mit dem Rössle kennen sich die Stuttgarter bestens aus. Es ist das Wappen der Landeshauptstadt und eines bekannten Autoherstellers mit Sitz in Stuttgart. So ist es auch kein Wunder, dass das europaweit größte Fest für Menschen mit Sehbehinderung rings um die Alte Reithalle, die heute für Kongresse, Veranstaltungen und Tagungen genutzt wird, stattfindet: im Kultur- und Kongresszentrum Liederhalle und Open-Air auf dem gesamten Berliner Platz.

Die Sonne versteckt sich hinter dicken Wolken und lässt sich nur ab und zu kurz sehen, als Hans-Werner Lange, Präsident des Deutschen Blinden- und Sehbehindertenverbandes (DBSV), das Festival am 3. Mai gegen 15 Uhr auf der Open-Air-Bühne eröffnet. Zuvor stimmte der bekannte Liedermacher Philipp Poisel die Besucher*innen des Festivals musikalisch ein. Schätzungsweise 500 Gäste finden sich vor der Bühne – stehend oder auf Bänken sitzend – ein. Andere besuchen nebenbei einige Mitmach-Aktionen ringsum die Bühne. Vor dem Dunkelzelt des Vereins aus:sicht e.V. hat sich eine Schlange gebildet. Im Zelt geht es um das Tasten, Riechen und Hören. Alle Sinne sind gefordert. Wer sich lieber sportlich betätigen möchte, kann auf das Skateboard steigen oder sich beim Blindenfußball ausprobieren. In der „Führhund-Lounge“ auf einer Wiese unter hohen blühenden Kastanien tummeln sich einige Führhunde und lassen sich verwöhnen, währenddessen ihre Besitzer*innen an den angrenzenden Imbissständen etwas essen und trinken.

Vier Männer auf einer Bühne. Von links nach rechts: Gitarrist, Geiger, die zwei anderen spielen kein Instrument, im Hintergrund ein Schlagzeug
The Sixteens mit einem bunten Mix aus Irish Folk, Oldies und Pop

Irish Folk, Lesung mit Rufus Beck und das dzb lesen mittendrin

Festivals sind immer ein willkommener Anlass, den Alltag hinter sich zu lassen, sich für ein paar Tage eine Auszeit zu nehmen, um zu feiern, Musik zu hören, Freunde zu treffen und sich auszutauschen. Einzigartige Festival-Atmosphäre kommt auf, als am Samstag The Sixteens mit einem bunten Mix aus Irish Folk, Oldies und Pop aufspielen. Diese und andere Musikbands auf der Bühne locken auch Stuttgarter*innen an, die während der drei Festivaltage zufällig am Berliner Platz vorbeilaufen oder aus der Stadtbahn aussteigen. Die Begeisterung bei Jung und Alt ist groß.
Überall auf dem Festivalplatz wehen große und kleine Fahnen im Wind, die die Gäste willkommen heißen. Vom Berliner Platz gelangen die Menschen, die meist zu zweit oder in Gruppen unterwegs sind, über große breite Treppen zur Liederhalle. In deren Räumen finden die meisten Workshops, Lesungen und andere kulturelle Veranstaltungen statt. Gut besucht ist auch die Lesung des renommierten Sprechers und Schauspielers Rufus Beck, der zu einem „Bummel durch Europa“ (Mark Twain) einlädt. Im übervollen Schillersaal bringt er sein Publikum immer wieder zum Lachen.

Am Stand des dzb lesen, auf langen Tischen liegen viele Bücher, Broschüren und Kalender, einige Menschen sitzen bzw. stehen davor, eine Frau steht hinter dem Tisch, eine andere sitzt.
Am Stand des dzb lesen im Foyer der Liederhalle ist viel los

Unweit davon, im Hegel-Foyer, begrüßt das dzb lesen seine Gäste, die sich informieren: „Was gibt es denn Neues im dzb lesen?“, „Grüßen Sie bitte Herrn Kampa und Herrn Krüger recht herzlich von mir!“, oder „Ich suche ein tastbares Kinderbuch, das ich mir mit meiner Enkelin anschauen kann. Welches könnten sie mir empfehlen?“ Immer wieder drängen sich Menschen um den Stand. Sie lassen sich von ihrer Begleitung erzählen, was auf den Tischen ausliegt. Hier werden tastbare Bilder und Landkarten ertastet und wird Brailleschrift gelesen. Wer Zeit und Lust hat, bastelt aus gelochten Brailleschrift-Seiten eine Papiertasche. Die Kinder entdecken die Lego-Braillesteine und manche kommen mit ihren Eltern ein zweites Mal an den Stand, um die tastbaren Illustrationen der Bilderbücher mit ihren Händen zu erkunden. Tastbare Bilderbücher sind auch das Thema eines Workshops am Freitagnachmittag, in dem Antje Mönnig und Caroline Schürer vom dzb lesen Projekte im Rahmen der Leseförderung vorstellen.

Workshops und Mitmach-Aktionen in der Liederhalle

Wer in der Liederhalle unterwegs ist zu den verschiedenen Workshops wie Crashkurs Braille, Tanzen im Sitzen, Schminken oder Tennisspielen, aber auch zu Lesungen und Mitmach-Aktionen, dem stehen viele Helferinnen und Helfer zur Seite. Diese begleiten die Besucherinnen und Besucher zur gewünschten Veranstaltung. Schon im Voraus ausgebucht ist auch der Gitarrenkurs von „Do It!“, einem Musikprojekt des Fördervereins des dzb lesen. Musikinteressierte lernen im Workshop das Instrument und erste Gitarrengriffe kennen. Vor einigen Räumen der Liederhalle warten die Gäste geduldig auf den Beginn ihres Workshops. Währenddessen die Techniker des Kongresszentrums unterwegs sind, um technische Probleme zu beheben. Und in der Gaming Zone, abgeschirmt vom Festivaltrubel, erleben Gamer Action in der Virtual Reality.

Drei Gitarren liegen auf einem Tisch
Bereit zum Musizieren

Ein begehbares Auge und ein besonderes Öhrchen in der Alten Reithalle

Auch in der wunderschönen Alten Reithalle, wo am Samstag der Markt der Begegnung stattfindet, leuchten die lilafarbenen Festivalbeutel am Arm der Gäste. Das Stahl-Glas-Gebäude, das 1887/88 erbaut wurde, beeindruckt durch seine offenen Emporen und zwei jeweils 672 kg schweren Kronleuchter. In diesem stilvollen Ambiente präsentieren sich die Landesverbände des DBSV und andere Einrichtungen. Am Stand des Blinden- und Sehbehindertenverbandes Niedersachsen ist ein großes begehbares Auge aufgebaut, das die Gäste zum Hineingehen einlädt. Darin sieht man den Aufbau des Auges, wie es funktioniert und die unterschiedlichen Erkrankungen des Auges. Der Stand des MDR, gleich am Eingang, zeigt ein ganz besonderes Mikrofon. Es gehört den Podcast-Machern Daniel Martin und Marion Waldhauer, die beim MDR den Öhrchen-Podcast „Augen zu und durch“ veröffentlichen. Hier können sich die Gäste von einem außergewöhnlichen Hörerlebnis selbst überzeugen.

Vorträge, Lesungen, musikalische Darbietungen, Workshops, Führungen – vielfältiger kann ein Festival nicht sein. Ein großes Dankeschön an alle, die das Festival organisiert haben, und an die vielen engagierten Helferinnen und Helfer. Auf Wiedersehen Stuttgart! Wo auch immer das sechste Festival stattfinden wird, die schwäbische Landeshauptstadt mit ihrem Rössle wird in Erinnerung bleiben.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert