Eine Bibliothek ohne Lesesaal – geht so was?

Ein Erfahrungsbericht von Susanne Baldermann

Bibliothekswagen mit Braillebüchern
Braillebücher für die Fernleihe

Nach nunmehr fast drei Monaten als Praktikantin in der Bibliothek des Deutschen Zentrums für barrierefreies Lesen (dzb lesen), neigt sich meine Zeit dem Ende. Ich habe in dieser Zeit viele Eindrücke und Erfahrungen gesammelt, die ich gern teilen möchte.

Kurz zu mir: Ich heiße Susann Baldermann und bin Studentin an der HTWK Leipzig. In meinem Studium der Bibliotheks- und Informationswissenschaft steht im 5. Semester ein Praktikum an. Aufgrund eines Freiwilligen Jahres, meiner Ausbildung, des Studiums und meiner Arbeit in der DNB habe ich bereits in zahlreichen verschiedenen Bibliotheken Einblicke bekommen. Doch ich war noch nicht in einer Bibliothek mit einer so spezifischen Zielgruppe und einzigartigen Tätigkeiten wie das dzb lesen.
Gleich am ersten Tag wurde ich erstmal überrascht, denn das dzb lesen hat keinen Lesesaal. Heute bin ich mir nicht sicher, warum es mich eigentlich so überrascht hat. Denn wenn man sich einmal richtig Gedanken macht, erscheint es total logisch, warum man die Medien zu blinden und sehbehinderten Menschen per Post versendet. Zum einen sind die Nutzenden über ganz Deutschland, zum Teil sogar weltweit, verteilt. Zum anderen ist das visuelle Präsentieren und Ausstellen der Medien für sehbehinderte und blinde Menschen nicht unbedingt erforderlich.
Mir ist auch aufgefallen, dass es leider keinen Raum für Nutzende gibt, in dem Medien angeschaut bzw. ertastet und Services getestet werden können. Hier hoffe ich, dass sich für die Mitarbeitenden und Nutzenden in Zukunft vielleicht noch Möglichkeiten auftun.

Fernleihe der Braille- und Hörbücher

Wie der Versand der Braillebücher funktioniert, habe ich durch meine Arbeit selbst erfahren. Besonders spannend fand ich, dass die Braillebücher viel umfangreicher als ihre gedruckten Äquvalente sind. Nehmen wir ein gern genutztes Beispiel: „Harry Potter und der Feuerkelch“ ist gedruckt ein Band mit 704 Seiten, umfasst in Brailleschrift jedoch 8 Bände. Stellt man sich diese Dimensionen vor, ist schnell klar, warum sich das Punktschriftmagazin der Bibliothek auf 5 Etagen verteilt.

Regalreihe mit Braillebüchern in Koffern
Braillebücher in Versandkoffern

Beeindruckend fand ich außerdem die enge Zusammenarbeit mit öffentlichen Bibliotheken. Hierbei wird Menschen mit einer Seh- oder Lesebehinderung über ihre Bibliothek der kostenfreie Zugang zu über 50.000 Hörmedien im barrierefreien Format vermittelt. Einmal im Jahr stellt das dzb lesen hier auch 20 Hörbuchtitel als CD für kooperierende Bibliotheken bereit. Bei der Auswahl der Titel durfte ich in diesem Jahr teilhaben und Vorschläge abgeben. So konnte ich mir einen guten Eindruck von den vielen aktuellen Hörbüchern des dzb lesen machen und habe ein gutes Gefühl für die beliebtesten Autoren und Buchtitel bekommen.

Im dzb lesen wird stetig an einer verbesserten Oberfläche und barrierefreien Anwendungen der eigenen Website gearbeitet. Diesbezüglich habe ich an der Entwicklung und Dokumentation eines vereinfachten Anmeldevorganges gearbeitet. Daran habe ich sehr wertgeschätzt, dass ich in Besprechungen aktiv Ideen und Meinungen beitragen durfte, welche gern angenommen und diskutiert wurden.
Mein Praktikum war eine spannende Erfahrung und ich konnte zahlreiche neue Erkenntnisse über die Vermittlung von Medien in einer Spezialbibliothek mit besonderen Beständen erhalten. Es hat mir geholfen, meinen Horizont in verschiedenen Themengebieten rund um Sehbehinderung und Barrierefreiheit zu erweitern. Das kollegiale Miteinander im dzb lesen war da ein riesiger Bonus, den ich nicht missen möchte.

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