„Das Vorlesen eines Buches ist immer Schauspielkunst …“

Sprecher vor Mikro während der Aufnahme, Aufnahmeleiter von hinten und angeschnitten, in der Mitte zwei Bildschirme und ein aufgeschlagenes Buch

Was haben ein Posaunist und ein Windsurfer gemeinsam? Sie brauchen beide genügend Puste. Beim ersten ist es die Atemluft, die ins Instrument geblasen werden muss, beim zweiten der Wind, der ins Segel bläst. Krystian Furmanek spielt Posaune und liebt das Windsurfen. Tätig ist er als Aufnahmeleiter im Hörbuchstudio des dzb lesen. Davor arbeitete er als Techniker für Musikproduktionen und sorgte für den guten Ton bei Musikaufnahmen. Heute bietet er als Hörbuch-Aufnahmeleiter statt Musiker*innen größtenteils Schauspieler*innen eine Bühne und arbeitet mit ihnen gemeinsam am gesprochenen Wort. Ein Beitrag von Gabi Schulze.

Wenn er über seine Arbeit spricht, dann spürt man, wie sehr ihn Sprache begeistert und wie er die Arbeit der Hörbuchsprecherinnen und -sprecher schätzt. Durch eine Glasscheibe vom Sprecher oder von der Sprecherin getrennt, sitzt Krystian Furmanek in einer schallgedämmten Aufnahmekabine vor seinem Rechner, dem Mischpult und dem Mikro, immer bereit, die Lesung zu unterbrechen, wenn sich der bzw. die Lesende verspricht oder es Probleme mit der Aussprache gibt. Im Regal an der Seite liegen die Bücher, die er gerade lesen lässt oder die noch gelesen werden. Sein Arbeitstag ist durch die Lesungen genau strukturiert, jede umfasst ungefähr zwei Stunden.

Bevor die Regler am Mischpult aufgezogen werden

Zu Beginn der Hörbuchaufnahme legt Krystian Furmanek dem Sprecher verschiedene Hörzeitschriften bereit, die er zur Einstimmung auf das Hörbuch lesen soll. Auf dem Pult dampft eine Tasse mit frisch gekochtem Tee. „Der Sprecher muss warm werden. Er braucht einen Text zum Einstimmen“, erklärt Krystian Furmanek. „Die Erwärmung ist gut für seine Stimme. Damit wird sie zum Laufen gebracht.“ Er erläutert, dass die Stimme ein sehr sensibles Instrument ist, die jeden Tag anders klingen kann. Er habe dafür zu sorgen, dass die Stimme der Sprecherinnen und Sprecher bei unterschiedlichen Lesungen immer die gleiche ist.
Zurzeit hat er fünf Sprecherinnen und Sprecher. Bis vor einem knappen Jahr waren es doppelt so viele. Doch da er die Arbeit eines pensionierten Studiotechnikers übernommen hat, sind es weniger Hörbuch-Aufnahmen, die er betreut. Aktuell nimmt er das Sachbuch „Revolutionär und Staatsgründer: Jósef Piłsudski – Eine Biografie“ von Wolfgang Templin auf, das der Sprecher Enrico Petters liest. Kein reines Geschichtsbuch, wie der Aufnahmeleiter beteuert, sondern durch viele Episoden spannend erzählt.

„Ich drücke nur die Knöpfchen …“

Seine Aufgabe als Aufnahmeleiter sei es, optimale Bedingungen für den Sprecher/die Sprecherin zu schaffen, sowohl technisch als auch „ringsherum“, meint Krystian Furmanek: „Ich schaffe die Voraussetzungen, damit der Sprecher frei agieren kann. Es ist seine Bühne und ich bin sein erster Zuhörer. Ich drücke nur die Knöpfchen und der Sprecher macht die eigentliche Arbeit. Das ist der Kern, deshalb braucht er ein gutes Klima und muss sich wohlfühlen. Der Sprecher vertraut dem Aufnahmeleiter und weiß, dieser meldet sich, wenn irgendetwas komisch rüberkommt.“ So kann er ruhig und entspannt lesen und für die zukünftigen Hörer und Hörerinnen eine fiktive atmosphärische Welt erschaffen.

„Der Zuhörer muss die Geschichte in seinem Kopf entwickeln …“

Es ist das Miteinander zwischen Aufnahmeleiter und Sprecher, das Krystian Furmanek an seiner Arbeit gefällt. Wie soll das Buch gelesen werden? Die Aufnahme eines Buches lässt immer einen gewissen Interpretationsspielraum zu. Wichtig ist jedoch, dass der Sprecher/die Sprecherin die Position des Autors/der Autorin einnimmt – egal ob ihm das Buch persönlich gefällt oder nicht. Der Aufnahmeleiter achtet darauf und korrigiert, falls der Sprecher/die Sprecherin zu engagiert liest. „Der Zuhörer muss die Geschichte in seinem Kopf entwickeln und die Bilder dazu selbst erschaffen. Der Sprecher darf nur einen kleinen Schubs in diese Richtung geben“, meint der Aufnahmeleiter. „Das Vorlesen eines Buches ist immer Schauspielkunst, aber mit anderen Mitteln, also nicht mit Mimik und Gestik, sondern mit der Stimme und der Sprache.“ Für ihn ist eine Lesung gelungen, wenn Aussprache und Betonung auf den Punkt genau sitzen, Tonalität, Lautstärke und Dynamik stimmen. Am Anfang hat Krystian Furmanek den Text immer direkt mitgelesen, jetzt konzentriert er sich auf das Hören. Er weiß, durch die visuelle Aufnahme des geschriebenen Textes kann es sein, dass Fehler von ihm im wortwörtlichen Sinn überhört werden können. Verspricht sich der Vorlesende, dann stoppt der Aufnahmeleiter die Lesung und sein Gegenüber korrigiert den Fehler. Auch bei störenden Geräuschen, wie zum Beispiel Magenknurren, Doppelatmer oder Stuhlknarren, wird die Aufnahme wiederholt.

„Es ist ähnlich wie beim Rodeo…“

Krystian Furmanek ist überzeugt von seinen Sprecherinnen und Sprechern. Geht der Vorlesende entspannt und locker in die Aufnahme, dann kann er auch Wörter unterschiedlicher Sprachen größtenteils fehlerfrei lesen. Es gibt Sprecherinnen und Sprecher, die bereiten sich auf die Lesung vor. Andere lesen sogar prima vista, also aus dem Stand. Der Aufnahmeleiter weiß: „Es ist ähnlich wie beim Rodeo. Der Sprecher muss den Text beherrschen und sich nicht von ihm abwerfen lassen, dann steigt er in die Geschichte ein und bringt sie glaubhaft rüber. Nach drei Minuten Aufnahme ohne Versprecher liest der Sprecher nicht mehr nur vor, sondern er beginnt, den Text zu beherrschen. Er gestaltet ihn. Bei flüssigen Texten kann er auch bis zu 40 Minuten ohne Versprecher durchlesen.“ Als große Herausforderung für ihn und den Sprecher nennt er in diesem Zusammenhang ein Sachbuch über Johann Sebastian Bach. Hier fehlte die Struktur und es gab mehr Quellenangaben als eigentlichen Text. Die Lesung dauerte sehr lange, weil sie aufgrund der sperrigen Texte viele Male unterbrochen werden musste.

Der Sprecher/die Sprecherin lesen maximal drei Stunden pro Sitzung. Zwar ist ihnen dann die „Puste“ noch nicht ausgegangen, aber die Konzentration lässt nach. Die hohe Qualität eines Hörbuches ist jedoch sowohl der Anspruch von Sprecherinnen und Sprechern als auch der ihres Aufnahmeleiters Krystian Furmanek. Letztendlich entscheiden die Hörerinnen und Hörer, ob ihnen die Aufnahme des Hörbuches gefallen hat.

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