Musikprojekt „Do it!“: Musizieren ohne Noten

Zwei Hände auf den Tasten eines Klaviers

Musik ist ihre Leidenschaft. Thomas Kauba, Paula Wünsch und Pascal von Wroblewsky haben sie zu ihrem Beruf gemacht. Alle Drei geben Instrumenten- bzw. Gesangsunterricht. Das Besondere daran, sie begeistern nicht nur sehende Musikinteressierte, sondern auch blinde und sehbehinderte. Sie engagieren sich im Musikprojekt „Do it!“

„Was machen blinde und sehbehinderte Musikfreunde, die einfach ein Musikinstrument erlernen, sich aber nicht mit Noten befassen wollen?“ fragt Prof. Dr. Thomas Kahlisch, Direktor des dzb lesen, der übrigens seit vielen Jahren selbst Gitarre spielt und zu den Initiator*innen des Musikprojektes gehört. „Im Internet gibt es unzählige Angebote für diesen Personenkreis, nur leider sind die Videos häufig nicht barrierefrei.“ Das brachte die „Freunde des barrierefreien Lesens e. V.“, Förderverein des dzb lesen, auf die Idee, ein neues Online-Angebot zu schaffen: In barrierefreien Videos zeigen Musiklehrende blinden und sehbehinderten Musikfreunden, wie sie ein Instrument ohne Notenkenntnis erlernen können. Später sollen sie in der Lage sein, mit anderen auf einem einfachen Level zu musizieren.
Im Sommer 2022 liefen die ersten Vorbereitungen an. Auch fanden sich bald interessierte Musiker*innen für das Projekt, das von der Aktion Mensch und dem Förderverein „Freunde des barrierefreien Lesens e. V.“ gefördert wird.

Zwei, die mit der Musik groß geworden sind

In den kommenden drei Jahren sollen Basis- und Aufbaukurse entwickelt werden, in denen blinden und sehbehinderten Musikinteressierten Schritt für Schritt die Handhabung von je vier Instrumenten (Klavier, Gitarre, Schlagzeug, Bass) und Gesang erklärt wird. So können sich die Musikfreunde das nötige Handwerkszeug, die Fingerfertigkeit und Körperhaltung aneignen. „Wir sprechen alle an, die von zu Hause aus ganz niederschwellig ein Instrument erlernen und sich mit Leuten untereinander austauschen möchten“, erzählt Diana Lorenz, Projektkoordinatorin. Mit sechs Jahren erhielt sie Klavierunterricht und sang im Kinderchor der Oper. Als Teenagerin spielte sie in der Bigband ihrer Schule. Später studierte sie Musikwissenschaft und war als Jazzsängerin mit Band unterwegs. „Ich finde das Projekt sehr spannend. Für mich ist es perfekt, weil es mit Musik zu tun hat und ich ein Projekt koordinieren kann, das Menschen hilft, Musik zu machen“, so Diana Lorenz. „Ich hoffe, dass auch möglichst viele Menschen die Online-Musikkurse nutzen.“
Neben Diana Lorenz arbeitet auch die aus Trondheim (Norwegen) stammende und jetzt in Deutschland lebende Musikerin Solveig-Marie Oma im Projekt mit. Sie ist blind und ausgebildete Organistin. Seit ihrem 11. Lebensjahr spielt sie Orgel. In Tromsö studierte Solveig-Marie Oma Kirchenmusik, war Kantorin und nebenbei Chorleiterin und Musiklehrerin. Während ihres Studiums musste sie immer wieder erfahren, dass es zu wenig Notenmaterialien für blinde Studierende gab. Deshalb weiß sie, dass vor allem einfache Dinge Musikbegeisterten helfen können, auch beim Erlernen eines Instrumentes. „Als ich von dem Projekt erfuhr, dachte ich gleich, das passt prima zu dem, was ich schon mache“, erzählt sie. Sie arbeitet schon im internationalen Projekt Music Braille des DAISY Consortiums. Dieses Projekt, in dem sich auch das dzb lesen führend engagiert, möchte den Zugang zu Brailleschriftnoten weltweit verbessern.

Lernvideos, die Spaß und Neugier wecken

Zunächst verschafften sich beide Koordinatorinnen einen Überblick über den groben Plan, um diesen dann detaillierter zu gestalten. Ein Fragebogen, der Musikinteressierte einbezieht und deren musikalische Kenntnisse, Anregungen und Wünsche einholt, soll als Erstes erstellt werden. Geplant sind eine Internetseite und ein Blog, der über die Entwicklung des Projektes informiert. Auf der Notennetzwerktagung in Bad Soden-Salmünster, auf der sich jährlich Musikexperten, blinde Musiker und Verlagsvertreter treffen, stellten die Koordinatorinnen das Musikprojekt vor und kamen zum Ideenaustausch zusammen.
In den kommenden Monaten werden gemeinsam mit den Musikinteressierten Konzepte für die Lernvideos entwickelt. Die Lernenden sollen mit Spaß und Neugier ein Instrument ohne Notenkenntnis erlernen. Thomas Kauba, der im Projekt Klavierunterricht gibt, hat schon genaue Vorstellungen. „Die einzelnen Lektionen möchte ich als Mitmach-Unterrichtsstunden gestalten. Dabei werde ich einen Schüler live vor der Kamera unterrichten und die Teilnehmenden des Kurses anregen, dies sofort zu Hause am eigenen Instrument auszuprobieren.“ Die Lernenden sollen sich zunächst auf der Klaviertastatur zurechtfinden. Später fließen auch Hörübungen in den Unterricht ein, so dass die Schüler*innen Melodien auf dem Klavier nachspielen können. Thomas Kauba, der als Korrepetitor an einer Waldorfschule tätig ist, studierte Musik- und Erziehungswissenschaft. Er unterrichtete, nachdem er im dzb lesen die Braille-Notenschrift erlernte, mehrere Jahre eine blinde Schülerin am Klavier.

Eine Jazz-Sängerin, die ihr „Handwerk“ weitergibt

Eine, die schon seit vielen Jahren in Kontakt mit dem Verein „Liederleute“ steht und Workshops für blinde und sehbehinderte Hobbysänger*innen in Boltenhagen gibt, ist keine geringere als die bekannte Jazzsängerin Pascal von Wroblewsky. „Das sind immer Tage voller Musik, Fröhlichkeit, harter Arbeit, großer Freude und Menschen, die ich mittlerweile über ein Jahrzehnt lang kenne“, schwärmt sie. Die Künstlerin wird im Musikprojekt „Do it!“ Gesang lehren. Ihre erste Schallplatte hat sie mit dem blinden Pianisten und Tonmeister Reinhard Walter produziert. Für das Album „Swinging Pool“ bekam sie Mitte der 80er Jahre eine Goldene Schallplatte. „Ich freue mich sehr, mein Handwerk hier in diesem Setting weitergeben zu dürfen und wünsche mir, dass es viele Blinde und Sehschwache erreicht und sie es für sich nutzen, sei es auf ihrem Weg zum Profi oder nur für sich selbst und ihr Herz“, meint sie.
Auch Paula Wünsch, E- und Kontrabassistin, die als Lehrende für den Bassunterricht angefragt wurde, war sofort am Musikprojekt interessiert und sagte zu. „Musik ist in erster Linie ein akustisches Erlebnis, doch man vergisst schnell, wie viel man sich als sehende Person sowohl beim Musikhören als auch beim Musizieren selbst auf die Augen verlässt oder vom Optischen beeinflusst wird“, sagt die Musikerin, die bald ihr Studium in der Jazzabteilung der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig beendet hat. In ihrem Unterricht möchte sie einen spielerischen Ansatz etablieren und den Spaß am Ausprobieren und Entdecken fördern.

Ende Februar trafen sich die Musiker*innen für Klavier, Bass, Schlagzeug, Gitarre und Gesang im dzb lesen lernten sich kennen. Es war der Auftakt für eine musikalische Reise, auf der es sowohl für die Lehrenden als auch die Lernenden immer wieder Neues zu entdecken gibt. Wir werden auf unserem Blog weiter über das Musikprojekt “Do it!“ berichten.

Umfrage: Interessierte können mitmachen

Wer durch diesen Beitrag neugierig geworden ist und wer gern selbst ein Musikinstrument erlernen möchte, der sollte an unserer Umfrage teilnehmen. Darin geht es um Ihr Musikinteresse und Ihre Erfahrungen. Nehmen Sie sich einfach ein paar Minuten Zeit. Die Umfrage ist anonym und benötigt keine Anmeldung. Hier ist der Link zur Umfrage: https://forms.gle/p83VAYMqAi5sK7RVA

 

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